Held oder Opfer

- Du hast die Wahl

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Jeder Mensch kann ein Held sein! Ein Held ist eine Person, die eine besondere, über die normalen menschlichen Grenzen hinausgehende Tat vollbringt. Heldenhaft zu handeln bedeutet vor allem die Selbstüberwindung, nach Prinzipien zu handeln, etwas Gutes zu tun und etwas zu riskieren. Ein Held kämpft für eine gute Sache. Er handelt nicht nur um seinetwillen, sondern auch aus Liebe zu den anderen. Er will sich selbst und auch die Welt zum Besseren verändern. Er kämpft gegen Ungerechtigkeit und hilft anderen.

Der Held zeigt uns, dass das scheinbar Unmögliche möglich ist. Das erfordert Intelligenz, Mut und Bereitschaft zum Risiko. Ein Held ist jemand, der sich durch Tugenden auszeichnet.

Heutzutage aber ist unmoralisches Handeln fast schon zur Tugend geworden. So geht Susan Neiman in ihrem Buch „Moralische Klarheit“ der Frage nach: Wann und warum ist Moral zum Schimpfwort geworden? Tugend bedeutet heute nicht mehr, sich zu fragen, was man für die Welt getan, sondern was einem die Welt angetan hat. Wir sehen uns als Opfer der Umstände und Ungerechtigkeiten. Heute spricht man mehr über Opfer als über Helden. Es ist notwendig, zu hinterfragen, warum heute die Opferhaltung das Heldenhafte verdrängt hat. Diese Veränderung ist fatal, denn der Held inspiriert uns, moralisch zu handeln.

Beispiele für das Böse finden sich heutzutage viele: IS-Terrorismus und andere Selbstmordattentäter haben schon unzählige Opfer gefordert und verbreiten Angst und Ohnmacht. Es gibt weltweit 30 Millionen Sklaven (auch in Europa z. B. 10.000 Sklaven in Deutschland) und Menschen, die sich in Gewalt von Kriminellen befinden und ausgebeutet und missbraucht werden. Nach Schätzungen der UN werden 150 Millionen Mädchen und 73 Millionen Buben zur Prostitution und Pornografie gezwungen. Die aus Profitdenken resultierende Umweltzerstörung erscheint dagegen als kleineres Übel und ist doch ein großes, bis heute ungelöstes Problem für die Menschheit. All dies zeigt das Ungleichgewicht, das in unserer Welt herrscht. Die Welt ist voller Ungerechtigkeit und es gibt eine große Kluft zwischen der Welt, so wie sie ist und wie sie sein sollte und könnte. Helden zeigen uns, wie wir diese Kluft zumindest verkleinern können. Menschen, die gegen die Ungerechtigkeit kämpfen, inspirieren und ermutigen uns, ähnlich zu handeln. So können wir sagen: Moralisches Handeln ist heldenhaft!

Heute versucht man gern, Ziele ohne Anstrengung zu erreichen. Heldenhaft leben bedeutet, Opfer zu bringen und Risiko einzugehen. Heldenhaft handeln bedeutet auch, für seine Überzeugungen Nachteile in Kauf zu nehmen, z. B. die Karriere aufs Spiel zu setzen. Oder sich zwischen humanistischen Idealen und einem „normalen“ Leben zu entscheiden. So hat zum Beispiel die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ihr Leben dem Kampf für die Freiheit der Menschen in Burma gewidmet, statt zu ihrer Familie nach England zurückzukehren, um dort ein bequemes Leben zu führen.

Gibt es heute noch Helden?

Susan Neiman erklärt, dass das Wort „Held“ heute inflationär verwendet wird. Jeder Sportler, Filmstar oder Popstar wird als Held bezeichnet und verehrt. Sie können uns vielleicht ein Beispiel dafür sein, was wir in unserem Leben erreichen können, aber sie sind keine Helden.

Menschen die Gewalt anwenden und Unschuldige töten, wie z.B. Selbstmordattentäter, Terroristen und IS-Soldaten sind erst recht keine Helden, auch wenn sie sich selbst als solche sehen. Sie sind laut Neimann von einem verfehlten Idealismus geleitet, Sie fordert eindringlich: „Wir dürfen unsere stärksten Begriffe wie Held, Ehre und Gut und Böse nicht denjenigen überlassen, die am meisten dazu neigen, sie zu missbrauchen. (…) Wir brauchen Menschen, die ohne den Einsatz von Waffen, ohne Gewalt zu Helden werden.“

Bei den Leinwandhelden sind es Figuren wie z. B. Vampire und Wehrwölfe, die „gut“ sind und enorme Fähigkeiten bis hin zur Unsterblichkeit besitzen oder Figuren wie Spiderman, der durch einen Spinnenbiss besondere Fähigkeiten erworben hat. Diese „Superhelden“ vermitteln zum einen das Bild, Held sein ist unerreichbar. Zum anderen lernen wir daraus scheinbar, dass die besonderen Fähigkeiten dem Helden von außen gegeben werden. Entspricht es nicht typisch menschlicher Bequemlichkeit, zu warten, bis die Kraft von außen kommt, ohne sich anstrengen zu müssen?

Wenn es heute echte Helden gibt, werden sie leider sehr schnell diskreditiert. Es scheint so, dass wir heute alle Menschen gleichmachen wollen und uns Helden dabei stören. Sobald sich jemand mit einer guten Tat auszeichnet, suchen und präsentieren die Medien sofort auch Unvollkommenheiten oder Fehler.

Warum haben wir Angst davor, Helden zu haben oder gar selbst Helden zu sein? Ist es uns unangenehm, dass manche Menschen mehr aus ihrem Leben gemacht haben als unsereiner in seiner lauen Bequemlichkeit? Oder haben wir Angst, nicht akzeptiert zu werden, wenn wir anders denken als der Mainstream und „altmodisch“ tugendhaft und moralisch handeln? Natürlich ist es auch einfacher, ein Opfer der Umstände zu sein als selbst Verantwortung zu übernehmen. Als Opfer können wir auf Verständnis, Mitgefühl und Unterstützung hoffen. Natürlich gibt es Menschen, die schwere Schicksalsschläge erleiden, z. B. Kriegsopfer, Flüchtlinge, Opfer von Naturkatastrophen etc. Aber auch hier werden Helden geboren, wenn man sich entscheidet, die Opferhaltung abzulegen und seine Handlungsmöglichkeiten beherzt wahrzunehmen. Ein Held ist zum Beispiel Viktor Frankl, der sich nicht durch die Umstände im Konzentrationslager aufgegeben hat und der den Mut und die Kraft hatte, trotzdem „Ja“ zum Leben zu sagen.

Wer ist ein Held?

Betrachten wie die Entwicklung des Heldenbegriffs. Im klassischen Altertum ist der Held das Kind eines Gottes/einer Göttin und eines Menschen. Er ist ein Wesen von doppelter Natur mit einem menschlichen und einem göttlichen Teil. Der menschliche Teil verleitet ihn, Fehler zu machen und auch zu leiden. Der göttliche Teil spornt ihn an, seine Kraft und Fähigkeiten zu verwenden, um großzügig und mutig zu sein und anderen zu helfen. So betrachtet, ist jeder Mensch ein potenzieller Held, da es in jedem  etwas Göttliches gibt. Derjenige, der sich dessen bewusst war und diesen göttlichen Teil in sich und seinem Leben aktivierte und große gute Taten vollbrachte, war ein Held. Das Wissen um ihre Unvollkommenheit hielt die Menschen des Altertums nicht davon ab, sich Helden zum Vorbild zu nehmen und ihnen nachzueifern.

Im Mittelalter verlor sich die Idee des Göttlichen im Menschen, aber es blieben Tugenden wie Großzügigkeit und Mut, die Menschen in Helden verwandelten. Es entstand das Bild des tapferen, bescheidenen und großzügigen Ritters, durch lange Übungen erprobt und viele Heldentaten bestätigt, der sich in den Dienst des Guten (z. B. für höhere Ideale, Schutz der Schwachen) stellte und Tugenden wie Treue, Ehre und Gerechtigkeit pflegte.

In unserer heutigen Zeit hat der Heldenbegriff eine Wendung erlebt. Mit der Französischen Revolution und noch mehr mit der industriellen Revolution gingen nicht nur die Werte Großzügigkeit und Mut verloren, der Begriff Held bekam auch eine negative Bedeutung: „Amerikaner hören das Wort (Held) und denken an Rambo, Deutsche hören das Wort und denken an Schlimmeres”, sagt Neiman. Diese Angst vor dem Wort Held oder heldenhaften charismatischen Politikern sei verständlich, andererseits auch ein Zeichen, dass man hier noch nicht frei ist. Die Veränderung des Heldenbegriffs führte zu einer Verniedlichung der wirklichen Bedeutung und Größe und machte diejenigen zu Helden, die am meisten Leid ertragen können.  „Statt mit unseren Mitmenschen zu wetteifern, wer der größere Held sein könnte, wetteifern wir darum, das größte Opfer zu sein.” Neimann schlägt vor, unsere passive Opfermentalität zu reduzieren und zu den ursprünglichen Modellen zurückzukehren, in dem der Held wieder die Bühne betreten darf und wo es wichtig ist, was wir für die Welt getan haben und nicht, was die Welt uns angetan hat.

Das Wort Held wurde manipuliert, um die Menschen unterwürfig und folgsam zu machen. Jeder Mensch neigt zu Bequemlichkeit, Sicherheit und Genuss. Diese Neigungen werden durch Regierungen und Institutionen, die uns Bürger gerne gefügig sehen und kontrollieren wollen, missbraucht. Unseren Hang zur Bequemlichkeit manipulierten sie, bis wir uns in angepasste und zufriedengestellte Konsumbürger verwandelt haben, unmündig und einfach zu beinflussen. So wird uns z. B. vermittelt, wir könnten uns Glück kaufen, wir könnten über die sozialen Netzwerke im Internet eine Vielzahl von „Freunden“ finden, uns gegen die Risiken des Lebens versichern usw. Kurz gesagt: Die gesellschaftlichen Strukturen geben uns die Illusion, alles sei bequem zugänglich und erreichbar ohne große Anstrengung. Und schon ist es nicht mehr erstrebenswert, die eigenen Grenzen zu überwinden, moralisch zu leben oder heldenhaft für eine bessere, gerechtere Welt aufzutreten und dafür notfalls auch sein Leben aufs Spiel zu setzen. Es ist einfacher, auf die Lösung von außen zu warten und dabei nichts zu riskieren. Und wie Neiman sagt: „Wenn man den Tod wählen muss, um Ungerechtigkeit zu bekämpfen, werden die meisten es uns verzeihen, wenn wir zu Hause bleiben.”

Ein wahrer Held ist sich bewusst, dass es schwer ist, für seine Ideen und Ideale zu leben, sogar viel schwerer für sie zu leben, als für sie zu sterben – doch er ist bereit für beides.

Für mich sind die größten Helden Philosophen wie zum Beispiel Sokrates, Platon oder Immanuel Kant (um nur ein paar zu nennen), die den Menschen ermutigen, selbst zu denken, nach der Wahrheit zu suchen und moralisch zu handeln. Sie lehren uns, die wichtigste Frage zu stellen: Wie kann ich meinem Leben Sinn geben? Sie haben für ihre Überzeugungen sogar Tod und Verbannung nicht gescheut. Platon wurde von einem Tyrannen als Sklave verkauft. Sokrates wurde hingerichtet. Sein „Verbrechen“ war, dass er den Menschen beibrachte, ihren Lebenssinn zu hinterfragen und Tugenden zu leben.

Die tägliche Anstrengung, unsere Fähigkeiten zu entfalten, um uns in den Dienst der Menschheit und der Natur zu stellen, verwandelt uns in Helden. So kann jeder ein Held sein, wenn er heldenhafte Tugenden lebt wie Mut, Großzügigkeit, Gerechtigkeit, Liebe zu den Mitmenschen und dadurch aktiv an einer besseren Welt arbeitet.

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