Abenteuer Philosophie Magazin https://www.abenteuer-philosophie.com/ Magazin für praktische Philosophie Fri, 28 Mar 2025 17:19:44 +0000 de hourly 1 Nr. 180 (2/2025) https://www.abenteuer-philosophie.com/nr-180-2-2025/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=nr-180-2-2025 https://www.abenteuer-philosophie.com/nr-180-2-2025/#respond Fri, 28 Mar 2025 17:19:38 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=7140 Magazin Abenteuer Philosophie

Es lebe der Sport(s)Geist - Die Moral des Siegens

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Sport oder Mord https://www.abenteuer-philosophie.com/sport-oder-mord/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=sport-oder-mord Fri, 28 Mar 2025 17:14:58 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=7149 Magazin Abenteuer Philosophie

(Mit dem Begriff Sportler sind sowohl Männer als auch Frauen gemeint.)

Seit Jahrhunderten bewegen sich Menschen, um Körper und Geist fit zu halten. Doch was geschieht mit der Gesundheit, wenn das körperliche Messen überhandnimmt, Tausendstel-Sekunden über Sieger oder Verlierer entscheiden oder der Mann als neue Frau im Boxkampf dominiert?

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(Mit dem Begriff Sportler sind sowohl Männer als auch Frauen gemeint.)

Seit Jahrhunderten bewegen sich Menschen, um Körper und Geist fit zu halten. Doch was geschieht mit der Gesundheit, wenn das körperliche Messen überhandnimmt, Tausendstel-Sekunden über Sieger oder Verlierer entscheiden oder der Mann als neue Frau im Boxkampf dominiert?

Sport ist Mord – ist Sport Mord? Sind Sie schon neugierig? Regt sich bereits der innere Widerstand gegen diese Aussage? Ich nehme Sie mit auf eine Reise …

„Dunkle Nacht und nur die Sterne am Himmel; eine Stirnlampe flackert im Rhythmus des Laufschrittes auf und ab; klirrende Kälte. Warum mache ich das eigentlich? Ich wusste viele Kilometer lang nicht, ob ich sicher bin. Schier unüberwindbar wirkte der schneebedeckte Weg – steil bergauf. Die stille Dunkelheit des Waldes überkam mich als Sinnbild des Todes. Als ich nach knapp drei Stunden endlich einen weiteren Läufer traf, fühlte ich mich, als wäre ich erneut geboren worden!“ Stefan D. (Teilnehmer des Zugspitz Ultratrails 2010)

Grundsätzlich erfordert der Wunsch, sich mit anderen oder sich selbst zu messen, Tugenden wie Mut, Durchhaltevermögen und einen starken Willen, sich selbst über die eigenen Grenzen zu bringen. Ein Läufer, der an einem Ultratrail wie dem Zugspitzlauf teilnimmt, läuft bei Tag und Nacht; viele der 106 Kilometer und mehr als 5000 Höhenmeter allein; durch Schnee und Eis – und oft in einer Ungewissheit, den falschen Weg gewählt zu haben.

Der Mut wird vielerorts bewundert, wird aber rasch ambivalent, wenn wir uns für Anerkennung oder den Wunsch nach Applaus in lebensgefährliche oder ungesunde Bereiche begeben.

Der Mut wird vielerorts bewundert, wird aber rasch ambivalent, wenn wir uns für Anerkennung oder den Wunsch nach Applaus in lebensgefährliche oder ungesunde Bereiche begeben. Dies erkennen wir im Tod durch Überlastung oder sehen es an Menschen, die ihren Körper in eine schier makellose Form trainieren, um sich unbewusst selbst zu objektivieren. Auch durch Hooligans avanciert der Sport zur Farce, die den Sieg oder Verlust eines Teams als selbst gewählte Sportgötter in gewalttätigen Antworten zum Ausdruck bringen. Zu guter Letzt ist auch unsere Jugend betroffen, die durch exzessive Fitnesstrends ihre Körper bis zur Selbst-Entstellung bewegen und diese folglich als fälschlicherweise idealisierte Körperbilder viral verbreiten.

Wenn wir versuchen, über besondere Leistungen besser zu werden als andere, außergewöhnlicher zu sein oder einfach nur bewundert zu werden, verlieren wir unsere Identität zu rasch in diesen Äußerlichkeiten.

So zeigt die Einnahme von Stereoiden oder anderen leistungssteigernden Mitteln sogar im Breitensport, wie rasch dieser äußere Druck uns schleichend manipuliert. Eine 2017 durchgeführte Studie in Deutschland brachte spannende Zahlen zum Doping im Breitensport hervor: Von 3000 Triathleten und Marathonläufern sowie von 500 Fitnesssportlern gaben zwölf bis 13 Prozent an, Doping-Mittel zu verwenden, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Der Anteil an Schülern, die Substanzen zu Doping-Zwecken einnahmen, lag zum selben Zeitpunkt mit 15 Prozent noch höher. Die Dunkelziffer ist unbekannt.

Dieser innere, schleichende Mord an der eigenen Identität beginnt nicht nur an der Grenze zur körperlichen Totalüberlastung, sondern genau dort, wo sich der Sportler hauptsächlich für äußerliche Werte bewegt. Das Training orientiert sich sodann an der Notwendigkeit, Ruhm, Bewunderung oder Ehre zu erlangen oder über die Selbstbestätigung den Proben des Lebens davonzulaufen.

Die Reise geht weiter …, packen Sie Ihre Lupe aus, um den Unterschied zwischen Wahn und Wahrheit zu erkennen.

Was das Auge nicht mehr unterscheiden kann

Wie sieht es aus, wenn sich Skirennläufer innerhalb von Hundertstel- oder Tausendstel-Sekunden die ersten Ränge teilen? Kann hier tatsächlich von besser und schlechterer Leistung gesprochen werden? Aktuell zeigt die Ergebnisliste der Abfahrt von Bormio 17 Top-Abfahrtsskirennläufer innerhalb von zwei Sekunden. Beinahe unmenschliche Leistungen werden von großartigen Sportlern in den unterschiedlichsten Disziplinen erbracht, deren Ergebnisse mit freiem Auge kaum wahrnehmbar sind. Werden die mentalen und körperlichen Fähigkeiten bis zur Höchstgrenze ausgeschöpft, erscheint das Messen von Tausendstel-Sekunden, um Sieger zu krönen, wie eine Farce. Sport wird hier zu einem Medienspektakel und Zahlen werden wichtiger als Fähigkeiten. Die Formel 1 lassen wir hier außen vor, denn das würde die durch die Redaktion vorgegebene Wortanzahl sprengen. Hier dürfen Sie sich gerne Ihre eigenen Gedanken dazu machen.

Zurück zum Skirennlauf: Wie könnte es sonst aussehen? Ein Winter ohne Skirennen? Für mich stellt sich vielmehr die Frage: Wie sind wir dorthin gekommen und wo möchte jeder Einzelne durch seine sportlichen Beweggründe ankommen? Irgendwie erinnert mich der Extremsport heute an das alte Rittertum. Ja, richtig gelesen – das Rittertum … Ein bisschen möchte ich Sie ja auch überraschen. Kommen Sie mit, halten Sie durch, ein paar Zentimeter noch!

Auf dem Weg: Die Suche nach der Wahrheit

Betrachten wir das Rittertum zum Zwecke des Vergleiches in einem idealen Sinn. Dann wäre der Ritter (ob männlich oder weiblich) jemand, der weniger am äußeren Wettbewerb oder Kampf interessiert ist, vielmehr als Verteidiger höherer Werte wie Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Frieden etwas bewegen möchte. Dabei dient die körperliche Ertüchtigung dem Herausbilden von Standfestigkeit und mentaler Siegeshaltung. Damit kann der Ritter in herausfordernden Lebensproben seinen Werten treu bleiben und für das Gute, Wahre, Schöne und Gerechte in sich und der Welt einstehen. Der ehrenhafte Ritter reflektiert und lernt, fernab von Applaus und ruhmhaften Ehrungen seiner Heldentaten, sich im Stillen zu betrachten, um innere Erkenntnisse zu gewinnen. Mit diesem Schatz kann er sich entwickeln und jeden Tag ein Stückchen besser werden, also über sich hinauswachsen.
So kommen wir dem Weg der Wahrheit zur gesunden Ertüchtigung schon viel näher.

Doch wie bleiben wir standhaft, um unseren Blick auf die Entwicklung wertvoller Tugenden zu wahren?

Der innere, schleichende „Mord“ an der eigenen Identität beginnt nicht nur an der Grenze zur körperlichen Totalüberlastung, sondern auch dort, wo sich der Sportler nur für äußere Werte bewegt
Adobe Stock: FILE: #853483002

Die Wahrheit liegt im Detail

Erhebt der Ritter sein Schwert aus der ent-scheidenden Position von der Ruhelage in der Scheide zur aktiven Handlung empor, befreit er sich damit von den fortwährenden, fast magnetischen Anziehungen seines schwächenden Verstandes. Dieses Bild zeigt die Richtung zu wahrer, sportlicher Tätigkeit. Der ritterliche Sportler sucht Verantwortlichkeiten und Proben, die im Dienst der eigenen Seele/Identität stehen. Mit dem Blick auf dem Weg zu sich selbst und einem inneren Wachstum findet er im (Extrem-) Sport Gelegenheiten, sich zu erproben. Über diesen erlangt er die Möglichkeit, die Grenzen des Körperlichen zu überwinden, die Trägheit des Geistes zu erkennen. An diesem Punkt kann er die Gelegenheit beim Schopf packen und aktiv werden, um sich selbst zu erziehen. So wird der olympische Gedanke „schneller, höher, weiter“ zu einer Aufwärtsspirale für die innere Erziehung. Der Mensch entwächst der Mittelmäßigkeit und richtet seinen Blick auf die Entwicklung überzeitlicher Tugenden, die vom reinen äußeren Schein gelöst sind. Rufen wir laut „Nein“ zu gesellschaftlichen Normen, die unsere Körper objektivieren und in Schubladen pressen!

Der Mensch entwächst der Mittelmäßigkeit und richtet seinen Blick auf die Entwicklung überzeitlicher Tugenden, die vom reinen äußeren Schein gelöst sind.

Wie kann diese Haltung durch eine aktive Entscheidung in unser Leben integriert werden? Lassen wir uns von den Worten des Philosophen Jorge Angel Livraga inspirieren:

Anwendung für das Leben – Praktische Philosophie

Erobere dich selbst:

  • Über die Beherrschung von Körper und Geist schaffst du es als wahrer Athlet, dir einen Weg auf eine bestimmte Art fest vorzunehmen und nicht nachzugeben.
  • Über kleine, sichere Schritte entwächst du den Kinderschuhen und lässt Eitelkeiten zurück. Du bleibst mit Zähheit und Energie dir selbst treu und hörst nicht auf, bis du das wünschenswerte Ziel erreicht hast.
  • Über das Ertüchtigen im Stillen, Erfolge nicht lauthals zu vereiteln, dafür objektiv den nächsten Schritt ins Auge zu fassen, schulst du die wahre Disziplin und Ausdauer. Je weniger Menschen die Erfolge bemerken, desto besser.
  • Über das Reinigen deiner Gedanken, die dir Ermüdung im sportlichen Handeln spiegeln, überwindest du deine innere Trägheit. Lass nicht zu, dass dein Verstand dich beherrscht und suggeriert, jeder Gedanke muss sich um dich selbst drehen.

Durch das tugendhafte, weise Überwinden der körperlichen Grenzen lässt sich dein Verstand wunderbar trainieren. Ohne Hunger nach Anerkennung bewegt es sich wesentlich leichter – so wird die Freude am Sieg anderer gleichermaßen freudvoll wie ein eigener Sieg. Ist dieser Weg mit ethischen Tugenden ausgestattet, dient der Sport deinem inneren Wachstum. Er macht dich stark und klar in wertvollen Ansichten. Dieses Verhalten lässt sich unisono auf das eigene Leben anwenden und du bestreitest Wettbewerbe stets gegen dich selbst. So wird der gesunde Sport zur dynamischen Lebenshaltung.

eim Sport finden wir Gelegenheit, uns zu erproben, die Grenzen des Körperlichen zu überwinden und die Trägheit des Geistes zu erkennen
Adobe Stock: FILE: #197317699

Der Zieleinlauf

Damit der Sport zur gesunden Ertüchtigung von Körper und Geist werden kann, folge deinen inneren, höheren Idealen und werde damit zum Vorbild für unsere Jugend.

So bleibe bestehen,
laufe nicht für den Applaus,
im Stillen zuhaus’,
von keinem gesehen,
die Persönlichkeit überwinden,
um höher zu geh’n,
die Verherrlichung vermeiden,
um für sich selbst klar zu entscheiden:
Welche Versprechungen mache ich mir,
um mich zu erheben im Inneren hier?

Text Barbara Dirnhofer

Literaturhinweis:

André-Comte Sponville: Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben, rororo Taschenbuch, 2010

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Maler des verlorenen Paradieses https://www.abenteuer-philosophie.com/maler-des-verlorenen-paradieses/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=maler-des-verlorenen-paradieses Fri, 28 Mar 2025 17:14:49 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=7160 Magazin Abenteuer Philosophie

Marc Chagall in der Albertina in Wien

„Unsere ganze innere Welt ist Realität – und das vielleicht mehr noch als unsere sichtbare Welt.“ Marc Chagall
Schon beim Betreten der Chagall-Ausstellung wird mir die Vielseitigkeit dieses Malers aus dem 20. Jahrhundert bewusst. Schnell erliege ich auch dem Zauber seiner Bildersprache, denn nichts ist so, wie wir es aus dem „normalen“ Leben kennen ...

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Marc Chagall in der Albertina in Wien

„Unsere ganze innere Welt ist Realität – und das vielleicht mehr noch als unsere sichtbare Welt.“ Marc Chagall

Schon beim Betreten der Chagall-Ausstellung wird mir die Vielseitigkeit dieses Malers aus dem 20. Jahrhundert bewusst. Schnell erliege ich auch dem Zauber seiner Bildersprache, denn nichts ist so, wie wir es aus dem „normalen“ Leben kennen …

Menschen spazieren durch die Luft oder spielen Geige auf dem Dach. Engel und andere geflügelte Wesen schweben herab und fast immer tauchen Hahn, Kuh, Ziege, Stier oder Fische als Erinnerung an sein Heimatdorf in seinen Bildern auf. Je nach Bedeutung vergrößert oder verkleinert Chagall seine Figuren, setzt sie schwerelos ins Bild und malt sie jenseits der Gesetze von Perspektive …

Viele seiner Bilder vermitteln den Eindruck eines Daseins voller Glück und Lebensfreude, doch tatsächlich prägen Vertreibung und Verfolgung, die Russische Revolution und zwei Weltkriege das Leben dieses außergewöhnlichen Malers.

Marc Chagall kommt 1887 als ältestes von neun Kindern in Witebsk, im heutigen Belarus, zur Welt. Seine Familie lebt in ärmlichen Verhältnissen innerhalb des für Juden gestatteten Siedlungsgebiets der Kleinstadt. In seinen Lebenserinnerungen beschreibt Chagall die schiefen Häuser, die Synagoge und die frei herumlaufenden Tiere des Dorfes. Bereits mit 13 Jahren tritt er in eine private Malschule ein und malt Bilder seines jüdischen Alltags. Hier findet Chagall seine großen Themen: Geburt, Liebe und Tod. Auch die Tiere seiner Heimat finden sich von nun an in fast allen seinen Werken wieder und werden zu Erinnerungen und Symbolen einer für ihn unbeschwerten Zeit voller Hoffnung.

Er setzt sein Studium in St. Petersburg fort, wo er zum ersten Mal mit der westlichen Avantgarde in Berührung kommt: Paul Gauguin, Henri Matisse und die Fauvisten. Dort macht er auch die Bekanntschaft mit Sammlern und Mäzenen und lernt seine große Liebe Bella Rosenfeld kennen, die später seine Frau werden wird. Immer wieder bis ins hohe Alter wird er Bella malen. Bella, seine große Liebe, seine Inspiration und sein Leben: sich und Bella als Hochzeitspaar, sich und Bella im Zirkus und sich und Bella in alttestamentarischen Geschichten …

Bella auf der Brücke, Marc Chagall, Öl auf Papier, 1915, 64 x 29,5 cm Titelseite: Schlafende mit Blumen, 1972, Öl auf Leinwand, 146 x 118cm

 

1910 führt ihn ein Stipendium nach Paris, um sein Studium fortzusetzen. Er bezieht ein Atelier in der Künstlerkolonie La Ruche, verkehrt in avantgardistischen Künstlerkreisen und schon bald finden sich seine Bilder in den Pariser Salons.

Die erste große Einzelausstellung hat Chagall 1914 in der Berliner Galerie „Der Sturm“, mit der er seinen Status als Künstler in Europa behauptet. Von dort reist er zu einem geplanten Kurzbesuch zur Hochzeit seiner Schwester nach Witebsk. Doch dann bricht der Erste Weltkrieg aus, und er kann nicht mehr in den Westen zurückkehren; es wird ein mehrjähriger Aufenthalt. Er heiratet Bella Rosenfeld, und es folgt eine glückliche Zeit der Liebe und Lebensfreude. Das Thema der Liebenden, von Liebes- und Hochzeitspaaren tritt in sein Schaffen, das ihn über die Jahre hinweg begleiten wird.

Liebespaar, Marc Chagall, 1913/14, Öl auf Leinwand, 109,2 x 134,6 cm

 

Nun füllt er seine Bilder auch mit leuchtenden Blumensträußen in Erinnerung an den ersten, den Bella ihm zu seinem 23. Geburtstag geschenkt hat. Dazu sagt er im Alter: „Vielleicht lebten wir zu arm. In meiner Nähe gab es keine Blumen. Bella war es, die mir die ersten Blumen gebracht hat. Man könnte lange über den Sinn von Blumen nachdenken. Für mich sind sie das Leben selbst in seinem glücklichen Zauber. Blumen vermögen alles – eine tragische Situation vergessen machen oder sie widerspiegeln.“

Der Geburtstag, Marc Chagall, 1923, Öl auf Leinwand, 80,8 x 100,3 cm

 

Nach der Oktoberrevolution 1917 gründet Chagall die öffentliche Kunstschule von Witebsk, die er auch leitet und an ihr mit namhaften Künstlern seiner Zeit unterrichtet. Doch es kommt zu großen Spannungen und Konflikten zwischen ihm und seinem Künstlerkollegen Kasimir Malewitsch, dem Verfechter der abstrakten Kunst. Chagalls emotionaler Zugang zur Kunst und sein gegenständlicher Stil werden als altmodisch gesehen. Enttäuscht überlässt er die von ihm geführte Schule Malewitsch und zieht mit seiner Familie nach Moskau. Doch auch dort unterliegt seine Kunst sehr bald der staatlichen Kontrolle und Zensur – Chagall kehrt 1922 nach Westeuropa zurück.

Während seiner Zeit in Russland setzt sich Chagall aktiv mit der jüdischen Geschichte und der Situation der jüdischen Bevölkerung in seiner Heimat auseinander. Er malt großformatige Figurenbilder von Juden und Rabbinern und schafft mit ihnen eine beeindruckende Metapher für das Leiden und die Heimatlosigkeit seines Volkes. Für diese Bilderserie nimmt er Bettler aus Witebsk als Modelle und erzielt mit dem Kontrast von Schwarz-Weiß eine starke Aussagekraft, die die Figur des Rabbiners auf eine spirituelle, fast mystische Ebene erhebt.

Rabbiner in Schwarz-Weiß, Marc Chagall, 1914 – 1922, Öl auf Leinwand, 104 x 84 cm

 

Im späteren Werk Chagalls wird das Bild der Kreuzigung einen zentralen Stellenwert und einen universellen symbolischen Charakter einnehmen. Die Leiden Jesu stehen dann stellvertretend für die Verfolgung und das Leiden des jüdischen Volkes, und in manchen Bildern zieht Chagall auch eine Parallele zwischen dem Gekreuzigten und sich selbst. Er löst das biblische Geschehen aus seinem konfessionellen Kontext, um eine universale Essenz darzustellen, die letztendlich das Leben selbst beschreibt.

Als Chagall 1922 nach Paris zurückkehrt, zählt er im Westen bereits zu den erfolgreichsten und bekanntesten Künstlern seiner Zeit. Doch seine Bilder der Vorkriegszeit sind mittlerweile verkauft oder verschollen, und der Erlös ist mit dem Krieg und der Inflation verloren gegangen. Er malt diese Bilder nochmals in Variationen und Wiederholungen der Motive aus dem Gedächtnis und schafft zahlreiche Neufassungen. Rückblickend beschreibt er diese Zeit in Frankreich als die „glücklichste Periode“ seines Lebens. Er genießt im Paris der 1920er- und 1930er-Jahre zum ersten Mal ein finanziell gut abgesichertes Leben voller gesellschaftlicher Anerkennung, umgeben von Künstlern, alten Freunden und früheren Lehrern.

In dieser neuen und unbeschwerten Atmosphäre treten Leichtigkeit und transparente Farben in Chagalls Bilder. Er verwendet nun Landschaftsmotive, Blumensträuße, die einfach in die Landschaft gesetzt werden, Liebes- und Hochzeitspaare sowie neue geflügelte Wesen. Die Einbeziehung aller Lebewesen und Lebensformen – der sichtbaren und der unsichtbaren – stellen für ihn die Einheit des Lebens dar, in dem alles miteinander in einer unerklärlichen Verbindung steht.

Nach der Machtergreifung Hitlers werden seine Bilder in Deutschland beschlagnahmt und als „entartete Kunst“ diffamiert. Die Besetzung von Paris durch deutsche Truppen erfordert eine weitere Flucht für Chagall und seine Familie in den unbesetzten Süden Frankreichs. Doch auch hier drohen immer stärkere Repressalien. Und schließlich kann und muss sich die Familie auf Einladung des Museums of Modern Art 1941 nach New York absetzen. Doch das Land und seine Sprache bleiben Chagall fremd, er sehnt sich nach Frankreich zurück.

Ein weiterer Schicksalsschlag ist der plötzliche Tod Bellas im Jahr 1944. In dieser Zeit steht ihm vor allem seine Tochter Ida zur Seite, die ihn menschlich und künstlerisch unterstützt. Nach Bellas Tod treten keine neuen Bildinhalte hinzu. Doch was früher als ein Entschweben in Glückseligkeit interpretiert wurde, kann jetzt als ein Entfliehen aus der gegenwärtigen Realität wahrgenommen werden.

Nach Kriegsende kehrt Chagall 1948 wieder nach Frankreich zurück und die Cote d’Azur wird für ihn eine zweite Heimat. Mit Matisse und Picasso, die sich dort ebenfalls niedergelassen haben, bildet er nun das große Dreigestirn der Moderne. Sein Schaffen setzt er ungebrochen fort. Große Aufträge wie die Ausstattung der Opernhäuser in Paris und New York und wichtiger Kirchen und Synagogen mit Glasfenstern bringen ihm weiterhin internationalen Erfolg.

Im Rückblick auf sein bisheriges Leben betrachtet Chagall seine persönlichen Erfahrungen in einem größeren Kontext: die Bibel, der Zirkus, das Theater und die Literatur haben den gleichen Stellenwert. Er reflektiert sie als Teil eines großen Ganzen, sie bilden für ihn die Essenz des Lebens. Zu seinem Bild „Don Quichotte, 1974“ (Abb.) erklärt er: „Ich wollte die Suche nach Wahrheit, die Eroberung des Lichts darstellen. Das Ziel meines Lebens.“

Mehr und mehr bringen seine Bilder Elementares zum Ausdruck; die Liebe als das höchste Gut gilt Chagall als Ausgangspunkt des Schöpferischen: „Wir sollten unser Leben mit unseren Farben der Liebe und der Hoffnung färben. In dieser Liebe liegt die soziale Logik des Lebens und das Wesentliche jeder Religion verborgen … In der Kunst wie im Leben ist alles möglich, wenn die Liebe die Basis ist.“

Chagall arbeitet ungebrochen bis ins hohe Alter von 98 Jahren. Er stirbt 1985 in seinem Haus in Saint-Paul de Vence.

Ich bin am Ende der Ausstellung angelangt. Die hundert Bilder in den neun Räumen umfassen das gesamte Leben und Werk Chagalls. Ich stehe vor dem letzten Bild und bin erfüllt von einer Mischung aus Hoffnung, Verzauberung, Freude und einer gewissen Ehrfurcht: Wie kann es nur gelingen, in solchen Zeiten der Dunkelheit so viel Licht in die Welt zu bringen? Doch darauf gibt Marc Chagall selbst die Antwort: „ … ich bin ein Maler des verlorenen Paradieses! Trotzdem sind Glaube und Hoffnung in mir, dass der Mensch fähig ist, nach der größten Katastrophe neu anzufangen und es besser zu machen.“

Mehr und mehr bringen seine Bilder Elementares zum Ausdruck; die Liebe als das höchste Gut gilt Chagall als Ausgangspunkt des Schöpferischen.

Don Quichotte, Marc Chagall, 1974–1974, Öl auf Leinwand, 35 x 24 cm

Text Brigitte Schmidt

Fotos: Brigitte Schmidt

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Nr. 179 (1/2025) https://www.abenteuer-philosophie.com/nr-179-1-2025/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=nr-179-1-2025 https://www.abenteuer-philosophie.com/nr-179-1-2025/#respond Fri, 20 Dec 2024 13:45:59 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=7050 Magazin Abenteuer Philosophie

Diese Welt braucht Leadership - aber philosophisch

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Wer kann sich nicht an dieses berühmte Zitat von Sam Hawkens in den legendären Winnetou-Filmen erinnern? Der Satz tut gut in einer Gesellschaft mit zunehmender Ideologisierung und Moralisierung von Meinungen.

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Wer kann sich nicht an dieses berühmte Zitat von Sam Hawkens in den legendären Winnetou-Filmen erinnern? Der Satz tut gut in einer Gesellschaft mit zunehmender Ideologisierung und Moralisierung von Meinungen.

Das Interview mit Geert Keil führte Barbara Fripertinger im Rahmen des Philosophicums Lech 2024

Sie haben Ihren Vortrag beim diesjährigen Philosophicum Lech mit einer Anekdote über den Philosophen Voltaire begonnen: Voltaire unternimmt mit einem Freund eine Landpartie. Die beiden kommen an einer Weide vorbei und sehen eine Schafherde. Der Freund bemerkt: „Sieh mal, die Schafe sind frisch geschoren.“ Darauf Voltaire: „Zumindest von einer Seite.“ Was ist der Störfaktor in dieser Geschichte?

In der Erkenntnistheorie dreht sich der Streit um die Frage, ob Wissen erfordert, alle Täuschungsmöglichkeiten ausschließen zu können.

Geert Keil: Voltaire legt in einer banalen Alltagssituation ein Ausmaß von Skepsis an den Tag, das allenfalls im Philosophieseminar angebracht ist. Wahrscheinlich bezweifelt er gar nicht ernsthaft, dass die Schafe rundum geschoren sind. Sein Punkt ist ein erkenntnistheoretischer: Aufgrund des bloßen Augenscheins lässt sich aus seiner Perspektive nicht aus­schließen, dass die Schafe akkurat allein von der blickzugewandten Seite geschoren sind, so un­wahrscheinlich das sein mag. Man könne also nicht wissen, dass sie ganz geschoren sind. In der Erkenntnistheorie dreht sich der Streit um die Frage, ob Wissen erfordert, alle Täuschungsmöglichkeiten ausschließen zu können.

Können wir immer davon ausgehen, dass Schafe auf allen Seiten geschoren sind?
Adobe Stock: FILE #: 23168666

Erfordert der Begriff des Wissens das?

Natürlich nicht. Sonst könnten fehlbare Wesen wie wir nichts wissen.

Genau das behauptet der Skeptiker doch …

Genau darin irrt er. Er irrt sich darüber, was Wissen ist. Er fordert für Wissen etwas, das für Menschen unmöglich ist. Man kann sich schon wundern, dass die sogenannte skeptische Herausforderung – verstanden als die Auffassung, dass wir nichts wissen können, wenn unsere Rechtfertigungen nicht die Wahrheit unserer Überzeugungen garantieren – bis heute so viele Erkenntnistheoretiker beschäftigt.

Kommen wir zu den nicht-akademischen Herausforderungen. Wir leben in einer Zeit von Fake News und von mangelndem Vertrauen, manche sagen: in einem postfaktischen Zeitalter. Was können Sie aus erkenntnistheoretischer Sicht dazu sagen?

Menschen haben einander immer schon belogen. Dafür ist erforderlich, dass der Sprecher sich bewusst ist, dass es einen Unterschied zwischen dem geben kann, was der Fall ist – den Tatsachen – und dem, was jemand glaubt. Lügen können allerdings den Fakten nichts anhaben, sie sind vielmehr ein gutes Zeichen: Solange erfolgreich gelogen wird, ist es noch nicht dazu gekommen, dass niemand niemandem mehr glaubt. Der Lügner verhält sich parasitär, er missbraucht das Vertrauen, das ihm entgegengebracht wird.

Was ist dann das Neue?

Neu sind heute die Möglichkeiten, Lügen und Desinformation massenhaft zu verbreiten und diese dabei immer raffinierter zu tarnen.

Was sind überhaupt Lügen?

Darüber haben sich viele Philosophen den Kopf zerbrochen, von Augustinus über Thomas von Aquin, Kant und Bolzano bis in die Gegenwart. Eine präzise Lügendefinition ist verblüffend schwierig anzugeben, weil es so viele Sonderfälle gibt. Ein erster Aufschlag wäre: Der Lügner sagt mit der Absicht, jemand anderen zu täuschen, wissentlich die Unwahrheit. Bei dieser Bestimmung kann es aber schon deshalb nicht bleiben, weil ein Lügner sich darüber irren kann, was wahr ist.

Lügen kann er trotzdem …

Genau. Entscheidend ist nicht, ob er etwas Falsches sagt, sondern dass er die Hörer etwas anderes glauben machen möchte als das, was er selbst glaubt. Der Lügner hat zwei Täuschungsabsichten, die miteinander kombiniert werden: Er möchte erstens, dass die Hörer etwas anderes glauben als er selbst, und zweitens, dass die Hörer ihn für aufrichtig halten. Dabei kann er sein erstes Ziel nur erreichen, indem er das zweite erreicht. Seine Lüge hat nur Erfolg, wenn man ihm glaubt.

In Ihrer Erläuterung ist der Begriff der Wahrheit gar nicht vorgekommen.

Das ist auch gut so. Wichtiger für die Definition der Lüge ist der Begriff der Wahrhaftigkeit. Entscheidend ist, dass der Sprecher nicht glaubt, was er sagt. Ob das Gesagte wahr oder falsch ist, ist sekundär. In den meisten Fällen wird der Lügner etwas Falsches sagen, aber man kann das nicht zum Kriterium machen, weil der Lügner sich, wie gesagt, seinerseits irren könnte.

Welche Rolle spielt denn der Begriff der Wahrheit, wenn wir, wie Sie sagen, Irrtümer niemals sicher ausschließen können?

Das ist eine große Frage. Oft wird argumentiert, etwa von Richard Rorty oder von unseren Studienanfängern: Es gibt doch keinen Gottesstandpunkt, also lassen wir das mal mit dem Pathos der Wahrheits­suche, die Philosophie sollte nach etwas anderem streben. Das ist natürlich ein Fehlschluss. Dass er oft mithilfe der Weisheit „Es gibt keine absolute Wahrheit“ ausgedrückt wird, macht die Sache nicht besser.

Worin besteht der Fehler?

Rorty übersieht die wesentlich negative Rolle des Wahrheitsbegriffs für unser Streben nach Erkenntnis. Wahrheit ist nicht das, was wir sicher treffen, wenn wir gut begründete Überzeugun­gen haben. Wahrheit ist das, was wir verfehlen können, obwohl wir gut begründete Überzeugungen haben, obwohl wir nach allen Regeln der Kunst Wissenschaft betreiben. Die Wahrheit einer Überzeugung hängt nun einmal nicht davon ab, ob sie für wahr gehalten wird. Sie hängt auch nicht von den Gründen ab, aus denen sie für wahr gehalten wird. Etwas, was beliebig viele Menschen beliebig lange mit belie­big guten Grün­den für wahr halten, könnte dennoch falsch sein. Die Wissenschaftsgeschichte ist voll von Beispielen dafür.

Wie sortieren Sie hier den Begriff der Fake News ein? Was unterscheidet sie von Lügen?

Der Begriff ist zugleich enger und weiter als der der Lüge. Fake News sind wörtlich „gefälschte Nachrichten“. Da nicht jede Lüge einen nachrichtenähnlichen Inhalt hat – denken Sie an eine falsche Antwort auf die Frage „Wo bist du gewesen?“ –, wird man nicht jede beliebige Lüge „Fake News“ nennen. Beiden Phänomenen ist gemein, dass Unaufrichtigkeit im Spiel ist.

Gibt es umgekehrt auch Fake News, die keine Lügen sind?

Ich denke schon. Wenn zum Beispiel jemand eine Falschinformation weiterverbreitet, ohne sie geprüft zu haben, wäre das keine Lüge. Vielleicht ahnt der Sprecher, dass die Information nicht stimmt, sie passt ihm aber gut in den Kram. Wenn ein Politiker gezielt ungeprüfte Gerüchte als Nachrichten ausgibt, um die öffentliche Meinung zu manipulieren, wäre das die Verbreitung von Fake News. Der Ausdruck ist relativ jung und in der sozialen Erkenntnistheorie wird über die beste Definition noch gestritten.

Eine Verschwörungstheorie, könnte man denken, ist schlicht eine Theorie, die das Vorhandensein einer Verschwörung behauptet.

Ein weiteres Schlagwort unserer Zeit sind Verschwörungstheorien. Wie kann man sie erkenntnistheoretisch verorten?

Eine Verschwörung ist Lexikondefinitionen zufolge eine geheime Verabredung oder Zusammenarbeit mindestens zweier Personen gegen jemanden oder etwas. Eine Verschwörungstheorie, könnte man denken, ist schlicht eine Theorie, die das Vorhandensein einer Verschwörung behauptet. Das scheint aber nicht zu stimmen, denn man nennt nicht jede Behauptung dieses Inhalts eine Verschwörungstheorie. Die Behauptung, dass die Verschwörer des 20. Juli 1944 sich verabredet haben, Hitler zu töten, ist beispielsweise keine Verschwörungstheorie, oder?

Weil die Theorie stimmt? Meinen Sie, dass eine Verschwörungstheorie immer falsch sein muss?

Nein. Eine völlig unbelegte, bizarre Behauptung darüber, dass ein bestimmtes Geschehen auf eine Verschwörung zurückgeht, würde man auch dann eine Verschwörungstheorie nennen, wenn die Behauptung zufällig wahr sein sollte. Wir haben hier eine ähnliche Situation wie bei Lügen und Fake News: Es kommt auch hier nicht direkt auf die Unwahrheit an, sondern auf etwas Benachbartes.

Worauf denn?

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist „Verschwörungstheorie“ ein abwertender Ausdruck. Wer einer solchen Theorie anhängt, macht etwas falsch. Der Vorwurf bezieht sich aber nicht auf Unwahrhaftigkeit, anders als bei Lügen. Vertreter von Verschwörungstheorien sind typischerweise von dem überzeugt, was sie behaupten, oft sogar felsenfest: Das World Trade Center ist von innen gesprengt worden, die offizielle Darstellung ist falsch, die Spuren sind vertuscht worden.

Worin besteht also das Problem?

Darin, wie die Anhänger der Theorie zu ihrer Überzeugung gelangen. Sie glauben die Theorie ohne zureichende Belege, sie werten die Beleglage tendenziös aus oder vertrauen unzuverlässigen Quellen. Es ist also der Prozess der Überzeugungsbildung, der schiefläuft. In der Sozialpsychologie wird sogar angenommen, dass es so etwas wie eine „Verschwörungsmentalität“ gibt, die für Verschwörungsglauben anfällig macht.

Sie haben in Ihrem Vortrag von „Kritikimmunisierung“ gesprochen. Was hat es damit auf sich?

Verschwörungstheorien enthalten von vornherein einen Baustein, der sie gegen Einwände abschirmt: Scheinbare Belege, die für die offizielle Darstellung und gegen die Verschwörung sprechen, seien von den Verschwörern fabriziert und gestreut worden. Diese Vertuschungsthese entwertet alle Gegenbelege, die ja durch die angenommene Vertuschung erklärbar sind. Auf diese Strategie der Selbstimmunisierung hat Popper die richtige Antwort gegeben: Eine Theorie muss an der Erfahrung scheitern können, sonst ist sie nichts wert.

Worin besteht hier die große gesellschaftliche Herausforderung?

Massenhaft verbreitete Desinformation wird zur Beeinflussung von Wahlen eingesetzt, zur Diskreditierung politischer Gegner, zur hybriden Kriegsführung und zur Destabilisierung von Demokratien. Dabei geht es nicht nur um Falschnachrichten, sondern auch um manipulierte Bilder, um gefälschte oder irreführende Statistiken, um Propaganda und KI-generierte „Deep Fakes“.

Welche Botschaft möchten Sie den Lesern von abenteuer philosophie mitgeben?

Ich fürchte, das liefe auf Kalendersprüche hinaus. Können wir uns das ersparen? Aber warten Sie, es gibt ein Bonmot des französischen Schriftstellers André Gide: „Wenn ein Philosoph einem antwortet, versteht man überhaupt nicht mehr, was man ihn gefragt hat.“ Ich denke, dass sich dahinter ein Lob der Philosophie verbirgt, obwohl Gide es sicherlich nicht so gemeint hat. Manche Fragen versteht man tatsächlich nicht mehr, wenn man philosophisch über sie nachgedacht hat. Und das kann ein Erkenntnisfortschritt sein: Man versteht im Nachhinein nicht mehr, wie kraus oder nebelhaft man vorher gedacht hat. Die Frage zerrinnt einem zwischen den Fingern. Philosophischer Fortschritt besteht nicht selten darin, schlechte Fragen durch bessere zu ersetzen.

Es gibt nur wenig in der Philosophie, was mich nicht interessiert, und ich habe dabei ein großes Bedürfnis, meine Gedanken so zu ordnen, dass sie einigermaßen zusammenpassen.

Verraten Sie uns noch, warum Sie Philosoph geworden sind?

Ich habe das Fach seinerzeit studiert, weil ich zum Ende meiner Schulzeit philosophische Fragen spannend fand: Wie hängen Geist und Körper zusammen, was können wir wissen, ist Moral Ansichtssache, was unterscheidet Menschen von anderen Tieren? Und dann bin ich hängen geblieben, es sind immer neue Fragen hinzugekommen. Für eine akademische Laufbahn sind das eher schlechte Voraussetzungen, denn in der Forschung muss man in die Tiefe statt in die Breite arbeiten. Mit dieser Balance kämpfe ich bis heute. Es gibt nur wenig in der Philosophie, was mich nicht interessiert, und ich habe dabei ein großes Bedürfnis, meine Gedanken so zu ordnen, dass sie einigermaßen zusammenpassen.

Prof. Dr. Geert Keil: Etwas, was beliebig viele Menschen beliebig lange mit beliebig guten Gründen für wahr halten, könnte dennoch falsch sein
Foto © Kirstin Hauk

Univ. Prof. Dr. Geert Keil, geboren 1963, Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin, hielt beim Philosophicum in Lech 2024 einen Vortrag mit dem Titel: Störfall Skeptizismus: begrüßen, bekämpfen oder ignorieren?

Bildunterschrift zum Buch:
Sein Buch „Wenn ich mich nicht irre“ stand auf der Shortlist für den Tractatus-Preis beim Philosophicum in Lech 2020 

 

 

 

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Diese Welt braucht Leadership – aber philosophisch! https://www.abenteuer-philosophie.com/diese-welt-braucht-leadership-aber-philosophisch/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=diese-welt-braucht-leadership-aber-philosophisch Fri, 20 Dec 2024 13:15:49 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=7054 Magazin Abenteuer Philosophie

„Es gibt einen Mangel an Führung und an Orientierung in diesen Zeiten großer Unsicherheit“, vermerkte der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück Adobe stock: FILE #: 528176573

Politik und Management wird vermehrt Führungsschwäche vorgeworfen. Und das ebne den Weg für extremistische Ideen und populistische Führungspersönlichkeiten. Laissez-faire und antiautoritär haben ausgedient. Nur wie soll das Leadership der Zukunft aussehen?

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„Es gibt einen Mangel an Führung und an Orientierung in diesen Zeiten großer Unsicherheit“, vermerkte der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück Adobe stock: FILE #: 528176573

Politik und Management wird vermehrt Führungsschwäche vorgeworfen. Und das ebne den Weg für extremistische Ideen und populistische Führungspersönlichkeiten. Laissez-faire und antiautoritär haben ausgedient. Nur wie soll das Leadership der Zukunft aussehen?

Text Hannes Weinelt

„Es gibt einen Mangel an Führung und an Orientierung in diesen Zeiten großer Unsicherheit“, vermerkte der ehemalige deutsche Bundesfinanzminister Peer Steinbrück in Richtung seines Parteikollegen Bundeskanzler Olaf Scholz. Und knapp ein Jahr später ist diese Regierung auch schon wieder Geschichte. Eine ähnliche politische Krise mit der Sorge der Unregierbarkeit gibt es in Frankreich. Und dass es im Vereinigten Königreich von 1979 bis 2016 (also in 37 Jahren) genauso viele Premierminister gab wie von 2016 bis 2024 (also in 8 Jahren) verdeutlicht das Problem. Eine aktuelle SORA-Umfrage zeigt, dass sich Menschen eine „starke Führung“ wünschen. Und dass ein starker Führer nicht mehr mehrheitlich abgelehnt wird. Putin, Xi Jinping, Erdogan und Trump lassen grüßen.

Flüchtige Moderne

Unter dem Begriff „Liquid Modernity“ kritisiert der polnisch-britische Soziologe und Philosoph Zygmunt Baumann (1925 – 2017) die Instabilität und Beliebigkeit moderner Führung. Die Komplexität und Schnelllebigkeit unserer Zeit lassen die Führungskräfte nicht mehr langfristig und visionär denken. Stattdessen ist die Führung opportunistisch und kurzfristig orientiert, was bei den Menschen zu Vertrauensverlust und Unsicherheit führt.

Ganz ähnlich argumentiert der slowenische Philosoph Slavoj Zizek: Zu sehr wird auf politische Korrektheit, populäre Meinungen und Machterhalt geachtet, anstatt mutige und tiefgehende Entscheidungen zu treffen.

Auf Ebene der Unternehmen diagnostiziert der Management-Vordenker Henry Mintzberg ebenfalls eine markante Führungsschwäche, wodurch zunehmend auf kurzfristige Gewinnmaximierung anstatt auf langfristiges strategisches Denken gesetzt wird. Bei der Belegschaft führt dies zum Verlust von Motivation und Vertrauen.

Zusammengefasst haben wir – wahrscheinlich aufgrund einer allgemeinen Verunsicherung angesichts von Komplexität und globalen Krisen in unserer heutigen Welt – übertechnokratische und überbürokratische Strukturen geschaffen. Es wird immer mehr verwaltet und immer weniger geführt. Phrasen und symbolische Maßnahmen ersetzen visionäre und mutige Entscheidungen. In der Gesellschaft führt dies zu einer weiteren Spaltung: Die einen halten gebetsmühlenartig an der Gestrigkeit von Hierarchien, als „heilige männliche Ordnung“ (Gerhard Schwarz) verunglimpft, fest und malen bei jedem autokratischen Piepston den Teufel von Diktatur und Faschismus an die Wand, die anderen – und das ist zunehmend die Mehrheit – rufen nach dem „starken Mann“, der endlich Verantwortung übernimmt und Orientierung und Sicherheit gibt.

Auf Ebene der Unternehmen diagnostiziert der Management-Vordenker Henry Mintzberg eine markante Führungsschwäche, wodurch zunehmend auf kurzfristige Gewinnmaximierung anstatt auf langfristiges strategisches Denken gesetzt wird. Bei der Belegschaft führt dies zum Verlust von Motivation und Vertrauen.

Wie jedoch kann und muss Leadership beschaffen sein, um nicht tatsächlich in Diktatur und Tyrannei zu enden?

Tugendhafte Antike

Für die klassischen Philosophen beruht Führung auf der Tugend. Nicht nur muss sich die Führungskraft durch Areté (wörtlich Exzellenz) auszeichnen, sondern sie muss auch in jedem Menschen die Tugendhaftigkeit fördern. Im Zentrum stehen dabei Sophia (Weisheit) und Phronesis (Klugheit), um Entscheidungen auf Basis tiefer Einsicht und Vernunft zu treffen und nicht nach oberflächlichen Gesichtspunkten. Ziel war immer die Eudaimonia, was besser als Gemeinwohl, wozu auch die Umwelt und auch kommende Generationen zählen, verstanden wird, denn als rein individuelle Glückseligkeit. Bei der praktischen Anwendung von Führung stand die Tugend der Gerechtigkeit an erster Stelle. Das ganze Werk „Politeia“ (Der Staat) von Platon dreht sich um diesen Begriff. Auch Sympathia, ein tiefes Verständnis und Mitgefühl für andere, sowie das aristotelische Konzept von Telos, dass jede Handlung auf ein höheres Ziel gerichtet sein sollte, gehören zur notwendigen Tugend-Ausstattung einer Führungskraft.

Der Weg zur Tyrannis

In dem Maße, wie die Tugendhaftigkeit der Führungsperson abnimmt, geraten Herrschaft und Führung in Verfall. Verkörpert die Führungskraft einen guten, gerechten und weisen Menschen, nennt Platon dieses Führungssystem Aristokratie (altgriechisch aristos für die Fähigsten). Kommen Ehrgeiz und Eifersucht in die Seele des Führenden, entsteht die Timokratie (altgriechisch timé für Ehre, Ansehen). Verschlimmert sich der Charakter zur Gier, entsteht die Oligarchie. Sie schafft eine Kluft zwischen wenigen extrem Reichen und vielen Armen, was schließlich zur Revolution des Volkes und zur Demokratie führt. Die Demokratie bezeichnet Platon als die bunteste aller Regierungsformen mit dem Seelenzustand einer falsch verstandenen Freiheit, die zur Zügellosigkeit, zum Individualismus, Egoismus und zur Verantwortungslosigkeit neigt. Wird Freiheit nicht im richtigen Sinne verstanden und gelebt, bringt der Mensch seinen eigenen inneren Tyrannen zur Geburt: die triebhafte Unersättlichkeit. Und diese wird ihn dazu veranlassen, den größten Volksverführer zum Regenten zu wählen, der sich nach anfänglichen Schmeicheleien und Versprechungen „vom Menschen zum Wolf“, also in einen Tyrannen verwandelt. „Denn übermäßige Freiheit scheint privat wie politisch in nichts anderes umzuschlagen wie in übermäßige Knechtschaft.“ Für Platon ist die Tyrannis die niedrigste und schlimmste aller Regierungsformen, denn hier werden die Menschen durch die Gewalt und Machtgier eines Einzelnen unterdrückt. Um des persönlichen Vorteils willen zerstört der Tyrann die moralische Integrität und den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Führung lässt sich nicht improvisieren

Dem Tyrannen mit seinem Eigeninteresse und Streben nach persönlicher Macht stellt Platon den Philosophenherrscher gegenüber, den er als Diener des Gemeinwohles betrachtet. Eine solche Führungspersönlichkeit fällt jedoch nicht vom Himmel, sondern muss ihre intellektuelle und moralische Eignung durch eine umfassende lebenslange Schulung unter Beweis stellen. In seiner „Politeia“ beschreibt Platon einen anspruchsvollen Bildungsweg, um eine Führungskraft auf ihre Aufgabe vorzubereiten: Bis zum 18. Lebensjahr stehen die Musische Bildung, zu der auch die moralischen Werte und Tugenden gehören, sowie die Gymnastik, die Stärke und Disziplin ausbilden soll, im Vordergrund. Ziel ist dabei die moralische und charakterliche Stabilität. Bis zum 30. Lebensjahr werden die intellektuellen Fähigkeiten geschult. Durch Mathematik und Geometrie lernt die zukünftige Führungskraft abstraktes und logisches Denken, durch Astronomie und Harmonik die Wertschätzung der kosmischen Struktur und Ordnung, durch Dialektik das Ergründen des Wesens des Seins und des Guten. Dann folgt bis zum 35. Lebensjahr die praktische Erfahrung im öffentlichen Leben. Dabei soll die menschliche Natur in all ihren Facetten kennengelernt und verstanden werden. Schließlich folgt noch eine intensive philosophische Ausbildung, um dem Wesen des Guten und der Weisheit näherzukommen, wodurch man erst versteht, wie das Wohl des Ganzen erreicht werden kann. Erst mit 50 Lebensjahren ist ein solcher Philosophenherrscher dann bereit, tatsächlich den Staat zu führen.

Zur Klärung der Sicht braucht es eine philosophische Ausbildung, um dem Wesen des Guten und der Weisheit näherzukommen, und zu verstehen, wie das Wohl des Ganzen erreicht werden kann
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Die älteste Quelle für philosophisches Leadership

Im Lunyü, den Gesprächen oder Analekten des Konfuzius, wird ein ähnlicher lebenslanger Bildungsweg beschrieben: „Mit fünfzehn Jahren richtete ich mich aufs Lernen hin, mit dreißig stand ich auf festem Grunde, mit vierzig war ich frei von Zweifeln, mit fünfzig verstand ich das Mandat des Himmels, mit sechzig wurde mein Gehör fein, mit siebzig konnte ich den Wünschen meines Herzens folgen, ohne das Maß zu überschreiten.“ Die Analekten können wohl als das älteste Handbuch für philosophisches Leadership betrachtet werden. Synthetisch möchte ich daraus einen Katalog von sieben Führungsprinzipien ableiten:

Wird Freiheit nicht im richtigen Sinne verstanden und gelebt, bringt der Mensch seinen eigenen inneren Tyrannen zur Geburt: die triebhafte Unersättlichkeit

  1. REN, was soviel wie Menschlichkeit, Mitgefühl oder Tugendhaftigkeit heißt. „Führe durch dein eigenes Beispiel. Wenn du gute Handlungen zeigst, wird das Volk dir folgen.“
  2. CHENG, Wahrhaftigkeit und Integrität, ist entscheidend für eine glaubwürdige Führung. „Sei wahrhaftig in deinen Worten und Handlungen. Nur dann wirst du das Vertrauen und den Respekt der Menschen gewinnen.“
  3. LI bezieht sich auf die Etikette, das respektvolle und höfliche Verhalten. „Behandle andere mit Respekt, unabhängig von ihrem Status oder ihrer Rolle.“
  4. XUE, Bildung als Schlüssel zur persönlichen Entwicklung und Förderung des Gemeinwohls. „Ein Führer sollte niemals aufhören zu lernen. Nur durch Wissen und Weisheit kann er die richtigen Entscheidungen treffen und Menschen inspirieren.“
  5. YI bedeutet Gerechtigkeit und Fairness. „Handle immer gerecht, auch wenn es schwer ist. Dein Verhalten soll niemals vom persönlichen Nutzen abhängen, sondern vom kollektiven Wohl.“
  6. HE heißt Harmonie und Einheit. „Fördere Harmonie in deiner Gemeinschaft und sei ein Förderer von Frieden.“
  7. ZEREN, Weitsicht und Verantwortung. „Handle mit Bedacht und übernehme Verantwortung für deine Entscheidungen. Denke an die Folgen deiner Taten für die Zukunft und für die nachfolgenden Generationen.“

In dem Maße, wie die Tugendhaftigkeit der Führungsperson abnimmt, geraten Herrschaft und Führung in Verfall.

In allen großen Führungspersönlichkeiten der Geschichte zeigen sich diese Prinzipien: Zum Beispiel bei Nelson Mandela, der nach 27 Jahren Haft und Jahrzehnten von Unterdrückung durch die Apartheid-Regierung nicht Rache, sondern Vergebung und Versöhnung forderte und vorlebte. Beim Rugby-Weltmeisterschaftsfinale 1995 trug er das Trikot der südafrikanischen Mannschaft und damit das Symbol der weißen Südafrikaner. Oder bei Abraham Lincoln, der nach dem Sieg seinen General U. Grant anwies, den besiegten General R. Lee und seine Soldaten nicht zu demütigen, sondern ihnen zu erlauben, ihre Waffen niederzulegen und in Würde nach Hause zurückzukehren. Bei seinem Besuch in einem Militärkrankenhaus ging er von Bett zu Bett und sprach mit den Soldaten, mit den eigenen und mit demselben Mitgefühl auch mit den feindlichen. „Der beste Weg, einen Feind zu besiegen, ist, ihn zum Freund zu machen“, war sein Credo.

Auch viele moderne Ansätze von Leadership bestätigen die notwendige Verbindung von Führung und Tugend, beziehungsweise von Führung und Philosophie wie das „Transformational Leadership“ nach James MacGregor Burns oder Howard Gardner in seinem Buch „Leading Minds“ oder Bill George in seinem Werk „Authentic Leadership“.

Das Leadership der Zukunft ist somit das Leadership der Vergangenheit. Es ist ein philosophisches Leadership, das zuallererst eine Führung mit Ethik ist, also mit Selbsterkenntnis, gelebtem Beispiel und Mitgefühl; zweitens mit einem Fokus auf das Gemeinwohl, also mit Gerechtigkeit, Fairness und Streben nach Einheit; und drittens mit dem Bestreben, eine positive Zukunft zu schaffen, also mit Weitsicht, Visionskraft und Verantwortung.

Wie wäre es, die Ausbildung in den Kaderschmieden der Parteien und des Managements nach den Worten von Konfuzius auszurichten: „Ein wahrer Führer ist jemand, der das Volk durch Tugend führt, nicht durch Gewalt.“

„Mit fünfzehn Jahren richtete ich mich aufs Lernen hin, mit dreißig stand ich auf festem Grunde, mit vierzig war ich frei von Zweifeln, mit fünfzig verstand ich das Mandat des Himmels, mit sechzig wurde mein Gehör fein, mit siebzig konnte ich den Wünschen meines Herzens folgen, ohne das Maß zu überschreiten.“ Konfuzius

„Fördere Harmonie in deiner Gemeinschaft und sei ein Förderer von Frieden.“ Konfuzius
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Verzeihen. Vergeben! Vergessen?

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Unsere Fesseln – und wie wir sie loswerden https://www.abenteuer-philosophie.com/unsere-fesseln-und-wie-wir-sie-loswerden/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=unsere-fesseln-und-wie-wir-sie-loswerden Fri, 27 Sep 2024 22:13:58 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=6966 Magazin Abenteuer Philosophie

With a Little Help from My Friend Platon
Wir sitzen in der Falle. Oder wie Platon (Athen 427 – 348/347 v. Chr.) sagt: in einer Höhle. Angekettet. Die Frage ist nun: Wer hat uns die Ketten angelegt, und wie werden wir sie wieder los?

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With a Little Help from My Friend Platon

Wir sitzen in der Falle. Oder wie Platon (Athen 427 – 348/347 v. Chr.) sagt: in einer Höhle. Angekettet. Die Frage ist nun: Wer hat uns die Ketten angelegt, und wie werden wir sie wieder los?

Als eifrige Leser von „abenteuer philosophie“ kennen Sie natürlich Platons Höhlengleichnis, einen der grundlegenden Texte der westlichen Geistesgeschichte. Er ist Teil seines Buches „Politeia/Der Staat“. Ich fasse den Text noch einmal kurz zusammen: Menschen sitzen in einer dunklen Höhle, an Füßen und am Hals so angekettet, dass sie sich nicht bewegen können. Hinter ihnen brennt ein Feuer, vor dem Figuren vorbeigetragen werden. An der Höhlenwand, die die Angeketteten allein im Blick haben, erscheinen diese Figuren als bewegliche Schatten. Für die Menschen in der Höhle sind diese Schatten die Wirklichkeit. Durch die Ketten daran gehindert, sich umzudrehen, ist das die einzige Wirklichkeit, die sie kennen.

Zwei Fragen stellen sich. Die Antwort auf die erste Frage, wer diese bemitleidenswerten Troglodyten (Höhlenbewohner) denn sind, ist einfach: wir. Platon spricht von uns. Damit meine ich nicht die Menschen oder gar die globale Situation des 21. Jahrhunderts, die die Apokalyptiker so gerne als Zeichen des bevorstehenden Weltuntergangs deuten, sondern den grundlegenden Zustand der Menschen zu allen Zeiten. Wer aber hat uns die Ketten angelegt? Auch die Antwort auf diese Frage ist kurz und einfach: wir selbst. Sie bedarf jedoch einer längeren Erklärung.

Wir müssen uns die Höhlenbewohner als glückliche Menschen vorstellen, um einen Satz von Albert Camus zu paraphrasieren. Obwohl Platon darauf nicht eingeht, wird in der Höhle für alle leiblichen Bedürfnisse gesorgt sein. Der kontinuierliche Ablauf der beweglichen Bilder vor unseren Augen – ich verwende ab jetzt die erste Person Plural, um es ganz deutlich zu machen, dass wir von uns sprechen – sorgt für Unterhaltung. Brot und Spiele eben, das alte Lied. So hält man die Menschen ruhig und dumm. Dass wir angekettet sind, bedeutet auch, dass wir einander nicht wirklich berühren können, dass kein Austausch und keine Beziehung möglich sind, obwohl uns die volle Höhle Gemeinschaft vorgaukelt. Es gibt aber auch keinen Rückzugsort, kein Alleinsein, keine Möglichkeit, die eigene Situation in Ruhe zu überdenken. Das Bewusstsein der existenziellen Einsamkeit soll gar nicht erst aufkommen.

Es gibt nur ein Gebot: Du sollst keinen Gott haben außer DICH SELBST. Nie war die Selbstbezogenheit größer als heute.

Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten (Rousseau, „Contrat social“)

Das Erschreckendste an dieser Allegorie, die im Grunde eine illusionslose Zustandsanalyse ist, ist die Tatsache, dass jeder für sich allein angekettet ist. Wir schließen die Augen davor, dass wir alle in derselben Lage sind.

In den sozialistischen Ländern gab es überall Standbilder, die muskelbepackte Männer darstellten, wie sie die Ketten des Kapitalismus und der Unterdrückung sprengten. Das ist nicht falsch, aber das Problem liegt tiefer. Solange wir glauben, dass uns irgendeine äußere Macht in Ketten geschlagen hat, werden wir nur eine Art von Fesseln durch eine andere Art ersetzen. Mit der äußeren Macht meine ich nicht nur eine politische Macht, es kann auch eine religiöse, spirituelle, philosophische oder weltanschauliche „Macht“ sein, darunter die am weitesten verbreitete, nämlich der Zwang, aus diesem Leben so viel wie möglich für sich selbst herauszupressen, ohne Rücksicht auf die Mitwelt.

Genau hier verorte ich (zu diesem Zeitpunkt meines Verständnisses) die Ursache unserer Gefangenschaft. ICH bin die Sonne, um die sich alles dreht. Alle Entscheidungen beurteile ich danach, ob sie MIR nützlich sind (bei politischen Wahlen eine äußerst gefährliche Haltung.) Andere Menschen, Tiere, die gesamte Natur sind nur Staffage und dazu da, ausgebeutet zu werden zur höheren Ehre meines ICH. Es gibt nur ein Gebot: Du sollst keinen Gott haben außer DICH SELBST. Nie war die Selbstbezogenheit größer als heute.

Natürlich neigen Menschen zur Selbstbezogenheit, und vielleicht ist das in einem frühen Stadium der Entwicklung sogar notwendig, so wie es notwendig ist, dass ein Kind „ich“ sagen lernt. Wenn der Mensch aber in diesem Stadium verharrt, zeigt dies seine psychologische Unreife, die sich verheerend auswirkt, nicht zuletzt auf das Subjekt selbst. Das, ohne es zu merken, zu einem in Ketten geschlagenen Objekt geworden ist. Wie so oft ist auch hier die Etymologie entlarvend: Subjekt leitet sich vom Lateinischen „subiectum“ ab, das sich wieder aus „sub“ (unter) und  „iacere“ (werfen)  zusammensetzt. Ein Subjekt ist schon von der Etymologie her jemand, der sich unterordnet (während das Objekt ein Gegenstand ist, man könnte auch sagen, ein Spielball). In unserem Kontext bedeutet das, dass ich mich, d.h. die Ausrichtung meines Lebens, etwas Höherem und Bedeutenderem, als ich es selbst bin, unterordne. Wieder: Es kann ein Gott, wie auch immer definiert, eine spirituelle oder philosophische Tradition sein, auch eine atheistische „innerweltliche“ Überzeugung, dass das Leben auf dieser Erde – für alle und alles – verbessert werden muss und ich mich deshalb dafür einsetze. Kurz: Es muss etwas sein, das mich von mir selbst erlöst, das meinen Blick, der immer nur auf mich selbst gerichtet war, weitet. Plötzlich kann ich mich umdrehen, die selbstauferlegten Ketten sind gefallen, und ich sehe, dass das, was ich für die Wirklichkeit gehalten habe, nur Schatten von Schatten sind. Platon nennt das die Umwendung der Seele (psyches periagoge).

Freiheit bedeutet, eigene Entscheidungen zu treffen. Um ein eigenes Urteil über die Ausrichtung meines Lebens fällen zu können, braucht es Gedankenarbeit.

Die Freiheit macht den Menschen Angst

Wir sind in Wirklichkeit schon immer frei. Das sagt der Buddhismus („Alle Wesen haben die Buddha-Natur“), das Christentum („Wir sind alle Kinder Gottes“) und das sagt auch Jean-Paul Sartre (französischer Philosoph, 1905 – 1980), neben vielen anderen. Er sagt aber auch – und ich denke, hierin stimmt er mit Platon überein –, dass die Menschen Angst vor der Freiheit haben. Freiheit bedeutet, eigene Entscheidungen zu treffen. Um ein eigenes Urteil über die Ausrichtung meines Lebens fällen zu können, braucht es Gedankenarbeit. Steht das Ergebnis fest, beginnt die Arbeit jedoch erst, denn wenn es wirklich eine Entscheidung ist, muss sie in die Tat umgesetzt werden. Wir sprechen hier von der Entscheidung, die erste Stelle freizumachen für etwas Bedeutsameres als mich selbst. Es tut mir leid, dass ich so darauf herumhacke, aber ich glaube, der Fan-Klub eines Fußballvereins tut es nicht. Da es in Zukunft der Kompass meines Handelns sein soll, stelle ich mir etwas vor wie das, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ (Goethe, Faust). Ich wähle diese vage Formulierung, weil die Ausformung jedem und jeder selbst überlassen bleibt. Das kann anstrengend, ungemütlich, manchmal auch gefährlich werden. Wir haben erkannt, dass wir nicht die Sonne sind, nur der Mond, der nicht selbst leuchtet, sondern sein Licht von der Sonne empfängt.

Nach dem anstrengenden Aufstieg aus der Höhle steht man doch endlich, zuerst noch geblendet aber überwältigt, im Licht

Wie geht Platons Geschichte aus? Ein Gefangener ist frei, sich umzudrehen und zu gehen. Er erkennt nicht nur den Betrug, dem er so lange aufgesessen ist, er sieht auch den offenen Ausgang. Was macht er? Jubelt er? Ruft er seinen Mithäftlingen zu: „Brüder zur Sonne, zur Freiheit!“, und stürmt voran? Keineswegs. Hier weiß man ja, was man hat, dort ist alles ungewiss. Außerdem ist der Aufstieg aus der Höhle anstrengend. Schließlich macht er sich doch auf und steht endlich, zuerst noch geblendet und völlig überwältigt, im Licht.

Es gibt keine Falle. Stehen wir einfach auf und verlassen die Höhle! Der Preis für die Aufgabe der Selbstbezogenheit und die Mühen des Aufstiegs: grenzenlose Weite und die strahlende Helle der Wirklichkeit.

P.S. Das Höhlengleichnis von Platon beschäftigt denkende Menschen nicht umsonst seit mehr als zweitausend Jahren. Der vorangehende Text ist – bestenfalls – eine der vielen möglichen Herangehensweisen.


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Verzeihen & Vergessen https://www.abenteuer-philosophie.com/verzeihen-vergessen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=verzeihen-vergessen Fri, 27 Sep 2024 22:13:44 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=6970 Magazin Abenteuer Philosophie

Dr. Elisabeth Lukas, die Meisterschülerin von Viktor Frankl, erklärt im Interview, warum Negatives sich öfter ins Bewusstsein drängt als Positives, und wie wir die durch erlittenes Leid gewonnene Energie in etwas Positives umwandeln können. Sie verrät auch, was nötig ist, um die Ankerketten zu lösen!
Das Interview mit Dr. Elisabeth Lukas führte Christine Schramm

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Dr. Elisabeth Lukas, die Meisterschülerin von Viktor Frankl, erklärt im Interview, warum Negatives sich öfter ins Bewusstsein drängt als Positives, und wie wir die durch erlittenes Leid gewonnene Energie in etwas Positives umwandeln können. Sie verrät auch, was nötig ist, um die Ankerketten zu lösen!

Das Interview mit Dr. Elisabeth Lukas führte Christine Schramm

Die heutige gesellschaftliche Entwicklung reißt immer mehr Gräben zwischen den Menschen auf. Angesichts der Kriegsgeschehen und Spaltungen in der Gesellschaft, rückt verzeihen und vergeben immer mehr in den Vordergrund, damit Friede entstehen kann. Was können Sie uns aus Sicht der Logotherapie dazu sagen?

Lukas: Auch in früheren Gesellschaften gab es verschiedene Meinungen und unterschiedliche Sichtweisen, nur wird dies heute von den Medien mehr hochgespielt.

Vergeben und Dankbarkeit haben aber eine große Heilkraft, was in der Psychologie lange Zeit übersehen wurde. Dabei hat Vergebung einen doppelt guten Effekt: sowohl für den, dem vergeben wird, als auch für den, der vergibt.

„Mein bisheriges Leben ist im KZ gestorben. Mir ist ein zweites Leben geschenkt worden. Ich werde mich bemühen, mich dieses Geschenkes würdig zu erweisen.“ Viktor Frankl

Elisabeth Lukas im Gespräch mit Christine Schramm im Zuge dieses Interviews

Wie ist es Viktor Frankl, dem unsagbares Leid von den Nazis widerfahren ist, gelungen zu vergeben?

Wer nicht verzeiht, geht bucklig durchs Leben und trägt auf seinen Schultern das schwere Gewicht des Grolls oder der Wut über das Geschehene. Er wird einem anderen, vielleicht durchaus zurecht, etwas nachtragen, da er verletzt wurde. Der Akt des Vergebens jedoch hat einen wunderbaren Effekt: man wirft diese Last ab, kann sich aufrichten, lässt Groll, Hass, Wut hinter sich und geht befreit seinen Lebensweg weiter.

Frankl war sich dessen bewusst und war nicht gewillt, sein restliches Leben mit der Last des „Nachtragens“ zu verbringen. Unmittelbar nach seiner Befreiung sagte er sich: „Mein bisheriges Leben ist im KZ gestorben. Es lässt sich so nicht mehr fortsetzen. Mir ist ein zweites Leben geschenkt worden, ein neues Leben und ich werde mich bemühen, mich dieses Geschenkes würdig zu erweisen.“ Hass, Verbitterung oder Zorn passten nicht zu diesem Vorsatz und er entschied, sich seinem Werk zu widmen, das er schon in Ansätzen entwickelt hatte und eine neue Familie aufzubauen.

Dieses Beispiel zeugt von einer enormen Willenskraft, aber nicht alle Menschen verfügen über eine solche.

Aus der Tierwelt wissen wir, dass bei Gefahr oder Schmerz ein Kräftezufluss stattfindet, den Tiere für den Kampf oder zur Flucht nutzen. Eine Gazelle, die vor einem Löwen flieht, muss schnell laufen, denn der Löwe ist auch schnell. Bei einer Leiderfahrung stellt der Organismus auf den Sympathikus um, das Herz klopft schneller, die Augen werden schärfer und Muskeln spannen sich an. Bei Tieren ist es ein Schmerz des Körpers, beim Menschen ist die Leiderfahrung oft ein Schmerz der Seele – aber immer findet ein Kräftezufluss statt. Die Frage ist, wie man diese zusätzliche Energie nützt? Das Tier weiß es instinktiv, aber der Mensch kann diesen Kräftezufluss unterschiedlich nützen. Er kann eine Autoaggression entwickeln und sich betrinken oder in eine reaktive Depression rutschen. Diese Kräfte können auch genützt werden, um Unschuldige zu „schlagen“, was oft passiert. Jemand ärgert sich über A, gegenüber dem er sich aber machtlos fühlt, und schlägt B. Jetzt ärgert sich B und schlägt C. Eine ganze Leidkette entsteht dadurch.

Dieser Kräftezufluss lässt sich auch positiv und konstruktiv nutzen: Indem man eine positive Haltung zu nicht veränderbaren Umständen einnimmt und eine heroische Einstellung entwickelt, sinkt man nicht auf das Niveau dessen, der einen verletzt hat, herab und bewahrt seine Würde.

Wenn Sie also fragen, woher wir die Kraft nehmen, lautet die Antwort: Die Kraft haben wir allemal.  Diejenigen, die ein Leben lang wettern, schimpfen oder mit ihrem Schicksal hadern, verpulvern sie jedoch. Die Natur hat uns diese Kraft geschenkt. Der Mensch hat die Wahl, wofür er sie verwendet.

In dem Wort „vergeben“ steckt das Wort „Gabe“. Was wären die Gaben, die der Mensch braucht, um vergeben zu können und den Kräftezufluss für das Positive zu nutzen?

Eine große Hilfe ist die Dankbarkeit. Immer wo Leid ist, gibt es auch immer Elemente, die es wert sind, sich dafür zu bedanken.

Bei Frankl war es schlichtweg, dass er überlebt hat, auch wenn es so schien, dass er alles verloren hätte. In Wirklichkeit hatte er sein ganzes Wissen und seine Fähigkeiten als Arzt immer noch. Er hatte noch Freunde in Wien, die ihm halfen, eine Stelle zu finden. Er hatte körperlich und physisch die Möglichkeit, wieder ein Leben aufzubauen und sein Werk weiterzuentwickeln und zu vollenden. Es waren also viele Gaben da.

Wer eine positive Haltung zu nicht veränderbaren Umständen einnimmt und eine heroische Einstellung entwickelt, bewahrt seine Würde.

Das Buch von Viktor E. Frankl: … trotzdem JA zum Leben sagen in seiner Neuauflage 2024. Es ist ein Klassiker der Überlebensliteratur und wurde in über 50 Sprachen übersetzt

Warum ist es für uns Menschen so schwierig, das Positive – die „Gaben“, die wir haben – zu sehen?

Das Negative drängt sich viel mehr ins Bewusstsein – auch das ist ein Naturprinzip. Wenn etwas Negatives passiert, tun wir alles, um es zu beseitigen und wenn etwas Positives passiert, brauchen wir gar nichts tun. Deswegen wird einem das Positive nicht so schnell bewusst. Die hungrige Katze merkt beispielsweise, dass sie hungrig ist, aber die satte Katze merkt nicht, dass sie satt ist.

Auch beim Wandern drängt sich Ihnen Ihre Ferse ins Bewusstsein, wenn Sie eine schmerzende Blase haben. Im Gegensatz dazu denken Sie ohne Blase an vieles andere, nur nicht an Ihre heile Ferse. Negatives drängt sich uns ins Bewusstsein. Das spielt auch beim Vergessen eine Rolle, wo wir Gutes sehr viel schneller als Schlechtes vergessen. So erfordert Vergeben, zu sehen, dass immer auch Gutes vorhanden war.

Der Schlüssel zu einem sinnvollen Leben; Die Höhenpsychologie Viktor E. Frankls von Elisabeth Lukas in der Neuauflage von 2023

Was sagen Sie zur großen Schwierigkeit, sich selbst zu verzeihen?

Die Unfähigkeit, anderen zu verzeihen, ist eng damit verknüpft, sich selbst nicht verzeihen zu können. Wer milde, großherzig und gütig ist, wer einmal ein Auge zudrückt und barmherzig zu den anderen ist, der ist auch barmherzig zu sich. Menschen schwächeln einfach. Sie reagieren manchmal spontan, unüberlegt und haben auch ihre Schattenseiten. Das gehört dazu, wir sind ja nicht als Engel geboren. Wenn ich mich darin übe, anderen zu vergeben, fällt es mir auch leichter bei mir selbst.

Menschen, die sich selbst nicht verzeihen können, leiden an Schuldgefühlen …

Es gibt einen Unterschied zwischen Schuldgefühl und Schuldbewusstsein. Schuldgefühle können völlig irrational und überzogen sein. Um wirklich schuldig zu werden, benötigt es eine Wahlfreiheit und ein Sinnbewusstsein. Existenzielle Schuld entsteht, wenn ich weiß, was das Richtige wäre und bewusst eine Handlung gegen den Sinn wähle. Wenn man nicht wusste, was das Sinnvollere, Bessere gewesen wäre und es passiert ein Malheur, kann man traurig sein, aber die Schuldgefühle müssen über Bord geworfen werden.

Es gibt zwei Raubtiere, die dem Menschen die Gegenwart wegfressen: Das eine ist der Hader mit der Vergangenheit, und das andere die Angst vor der Zukunft.

Aber das ist schwierig …

Niemand kann dem Menschen die Schwierigkeiten des Lebens abnehmen. Schwierigkeiten und Probleme gehören zu einem ganz normalen Leben dazu. Wir sind ständig herausgefordert, uns irgendwelchen Problemen zu stellen und eben das Beste aus der Situation zu machen. Es wäre gar nicht gut, wenn man versuchte, den Menschen alle Schwierigkeiten abzunehmen, denn damit tut man ihnen keinen Gefallen. Sie verweichlichen, sie verlieren an Lebensqualität, denn die Herausforderungen, die das Leben an uns stellt, machen uns souverän und stärker. Man muss sich den Herausforderungen stellen.

Was können Sie unseren Lesern über das Vergessen und über die Gefahr des Verdrängens sagen?

Das normale Vergessen ist an und für sich enorm wichtig für die seelische Gesundheit. Es bedeutet, dass etwas abgelegt wird, was jetzt nicht relevant ist und man kann sich besser auf das Aktuelle und Gegenwärtige konzentrieren. Auch zu Hause muss ich von den 100 Dingen am Tisch einige in eine Schublade wegpacken, um mich auf die aktuelle Mappe und die Gegenwart konzentrieren zu können. Und so muss ich es auch im Leben machen. Wie hätte die Generation unserer Väter, die aus dem Krieg zurückkehrte, in ihrem weiteren Leben einen Beruf ausüben oder sich an Geburtstagsfesten erfreuen können, wenn sie immer die Kriegserlebnisse vor Augen gehabt hätte? Man muss auch etwas wegpacken können, um sich voll und ganz auf die Gegenwart zu konzentrieren und sich mit Hingabe den Anforderungen des Augenblicks, dem Jetzt, zu widmen.

Haben nicht viele dieser Männer ihre Erlebnisse verschwiegen, sich verschlossen und vielleicht die Erinnerungen mit Alkohol betäubt?

Nein, das ist etwas anderes. Sie haben es schon teilweise weggepackt. Doch wenn die Gegenwart leerer wird, wenn man beispielsweise in Pension geht und nicht so recht weiß, was man machen soll, dann kriechen diese Dinge aus dem Speicher der Erinnerung wieder hervor. Und wieder drängen sich die negativen Dinge viel stärker als die positiven ins Bewusstsein.

Es gibt zwei Raubtiere, die dem Menschen die Gegenwart wegfressen: Das eine ist der Hader mit der Vergangenheit, bei dem man immer wieder zurückblickt und sich über das ärgert, was geschehen ist. So fährt man mit Halbmast durch die Gegenwart, wodurch Fehler passieren, die ein neuerlicher Grund sind, sich über die Vergangenheit zu ärgern. Das andere Raubtier ist die Angst vor der Zukunft: die Sorge, ob man scheitern wird, ob man den Erwartungen anderer gerecht wird und was noch alles auf einen zukommen könnte. Wieder lebt man nicht vollständig in der Gegenwart und es könnten Fehler passieren, die eine schlechtere Zukunft nach sich ziehen. Daher ist es wichtig im Leben, sich ganz der Gegenwart hinzugeben und sich einer sinnvollen Aufgabe im Hier und Jetzt zu widmen.

In Bezug auf die Erinnerungen gilt es auch zu bedenken, dass das Gedächtnis nicht wie ein fotografischer Film funktioniert, der Ereignisse unverändert wiedergibt. Man erinnert sich nur an Ausschnitte und vieles wird vergessen. Aus diesen verschiedenen Ausschnitten baut man sich seinen eigenen Film von der Vergangenheit, der auch noch durch gegenwärtige Einflüsse verfälscht werden kann. So erinnert man sich nach 40 Jahren wohl an eine verpatzte Schularbeit und nicht an die zahlreichen erfolgreich absolvierten Prüfungen. Das bedeutet, dass auch positive Erlebnisse sehr oft verdrängt und vergessen werden.

So wie ein Schiff im Hafen gebaut wird, wächst ein Kind im Schoße der Familie auf. Das Schiff kann nicht hinaus aufs offene Meer, solange es noch angekettet ist. Diese Ankerketten können nur mit Vergebung und Dankbarkeit gekappt werden.

Welche Botschaft können Sie unseren Lesern als Beitrag zur Heilung der Welt mitgeben?

Junge Menschen müssen sich von ihren Eltern abnabeln und ins eigene Leben gehen. Das gelingt nur dann gut, wenn sie zuerst den Eltern all das verzeihen, was jene falsch gemacht haben. Alle Eltern machen Fehler, denn keinem gelingt eine ideale Erziehung. Und dann sollte man seinen Eltern wirklich danken für das, was sie für einen getan haben. Alle Eltern leisten irgendetwas für ihre Kinder und sei es nur, ihnen das Leben zu schenken oder oft noch viel mehr, so gut sie es eben können.

So wie ein Schiff im Hafen gebaut wird, um aufs offene Meer hinauszufahren, wächst ein Kind im Schoße der Familie auf. Das fertige Schiff kann nicht hinaus aufs offene Meer, solange es noch angekettet ist. Diese Ankerketten können nur mit dem Akt der Vergebung und der Dankbarkeit gekappt werden.

Erst jetzt kann die nächste Generation in die Zukunft segeln, ihren eigenen Weg gehen und versuchen, es besser zu machen Adobe Stock: FILE #: 448504504

Allgemeiner gesprochen gilt das auch angesichts der vielen Probleme in der heutigen Welt. Junge Menschen sollten die Welt versöhnlicher betrachten, ihren Zorn bändigen und zugleich dankbar für die Gaben sein, die sie trotz allem haben. Noch haben wir viele Ressourcen auf unserer Erde, wir sind mit einem bemerkenswerten Verstand ausgestattet und es gibt immer noch zahlreiche Länder, die viel zum Leben haben. Wenn man da nicht Dankbarkeit zeigt, kommt man vom Groll nicht los.

Die Ankerketten müssen gelöst werden, um aufs offene Meer hinausfahren zu können. Erst dann kann die nächste Generation in die Zukunft segeln und sagen: „So und jetzt finden wir unseren eigenen Weg, fahren zu unseren eigenen Ufern und Zielen und versuchen, es besser zu machen.“


ELISABETH LUKAS (DR.), geboren 1942 in Wien, ist eine der bekanntesten Nachfolgerinnen von Viktor E. Frankl, dem Gründer der Logotherapie, der sinnzentrierten Psychotherapie. Als klinische Psychologin spezialisierte sie sich auf die praktische Anwendung der Logotherapie und entwickelte diese methodisch weiter. Zusätzlich zu ihrer Lehrtätigkeit veröffentlichte sie mehr als 30 Bücher, die in 20 Sprachen übersetzt wurden. Zu dem Interview mit abenteuer philosophie erklärte sie sich sofort gerne bereit. Herzlichen Dank!

„In der Psychologie wurde es lange Zeit übersehen: Vergeben hat eine große Heilkraft!“ Elisabeth Lukas

CHRISTINE SCHRAMM (MAG. PHARM.) geboren in Wien, war immer schon auf der Suche, wie man die Welt heiler machen kann. Dieser Weg führte sie zur Pharmazie, Homöopathie, Sozialarbeit und schon bald zur praktischen Philosophie im Treffpunkt Philosophie Neue Akropolis. Hier fand sie die besten Antworten auf ihre Fragen und leitete über 20 Jahre ehrenamtlich den Vereinssitz in Wien. Zurzeit absolviert sie den Lehrgang für Logopädagogik im Viktor-Frankl-Zentrum Wien. Für abenteuer philosophie schrieb sie mittlerweile 16 Artikel und drei Buchempfehlungen: über Paracelsus, die Geschichte der Medizin, die Sprache der Metalle, Kooperation und Ordnung …

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Die Kunst der Bescheidenheit https://www.abenteuer-philosophie.com/die-kunst-der-bescheidenheit/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=die-kunst-der-bescheidenheit Sun, 30 Jun 2024 18:39:59 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=6908 Magazin Abenteuer Philosophie

Gute Umgangsformen sind zeitlos. Hier geht es um einen 3000 Jahre alten „Knigge“ der chinesischen Hochkultur und warum sich ein Berg in der Erde verbergen soll?

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Magazin Abenteuer Philosophie

Gute Umgangsformen sind zeitlos. Hier geht es um einen 3000 Jahre alten „Knigge“ der chinesischen Hochkultur und warum sich ein Berg in der Erde verbergen soll?

Das I Ging ist ein Weisheitsbuch Chinas. Das 15. Hexagramm darin heißt KIEN – die Bescheidenheit. In der Ausgabe Nr. 176 wurde das Hexagramm LÜ, das Auftreten, behandelt. Wenn LÜ das Fundament des Charakters darstellt, beschreibt KIEN den praktischen Umgang mit unserem Charakter. Hier gilt es, die Harmonie unserer charakterlichen Gegensätze wahrzunehmen und zu leben. Und das gelingt nur mit einer Haltung der Bescheidenheit, ausgedrückt und beschrieben im Hexagramm KIEN.

 

KIEN – Die Bescheidenheit

 

Das Urteil

Bescheidenheit schafft Gelingen.

Der Edle bringt zu Ende.

„Die Schicksale folgen festen Gesetzen, die sich mit Notwendigkeit auswirken. Aber der Mensch hat es in der Hand, sein Schicksal zu gestalten, je nachdem er sich durch sein Benehmen dem Einfluss der segnenden oder zerstörenden Kräfte aussetzt. So gelingt es dem Edlen, sein Werk zu Ende zu führen, ohne sich des Fertigen zu rühmen.“

Das I Ging betont an einer anderen Stelle die Wichtigkeit, sich dem Buch der Wandlungen mit der rechten Haltung zu nähern.

„Erst nimm die Worte vor,

besinn dich, was sie meinen,

dann zeigen sich die festen Regeln.

Doch bist du nicht der rechte Mensch,

dann äußert sich der Sinn dir nicht.“

Bescheidenheit bedeutet in diesem Fall, sich zurückzunehmen, sowohl in erfolgreichen und glücklichen Situationen als auch in schwierigen und schmerzhaften Zeiten. Das I Ging rät, uns der Gesetzmäßigkeiten des Himmels bewusst zu sein. Diese „festen Regeln“ schaffen Tag und Nacht, Hitze und Kälte, Schmerz und Glück. Der „rechte Zugang“ liegt in der Akzeptanz dieser Dualität. Bescheidenheit entdramatisiert unsere Bewertung des einen und des anderen Extrems. Mit einem bescheidenen Herzen verzweifeln wir nicht angesichts großen Unglücks noch machen wir in Zeiten übergroßen Erfolges die Götter neidisch auf unser Glück. 

Das Bild

„Inmitten der Erde ist ein Berg: das Bild der Bescheidenheit. So verringert der Edle, was zu viel ist, und vermehrt, was zu wenig ist. Er wägt die Dinge und macht sie gleich. Der Erde, in der ein Berg verborgen ist, sieht man ihren Reichtum nicht an, denn das Hohe des Berges dient zum Ausgleich der Vertiefungen. So ergänzt sich Hohes und Tiefes, und das Resultat ist die Ebene. Hier ist das Bild der Bescheidenheit, dass das, was langer Wirkung bedurfte, als selbstverständlich und leicht erscheint.“

KIEN bezeichnet die innere Haltung, die notwendig ist, damit wir überhaupt die Bildung des Charakters beginnen. Die Bescheidenheit (Berg unter der Erde) ehrt andere und kommt dadurch selbst zu Ehren. Auf diese Weise entsteht Freundlichkeit im Umgang unter den Menschen. Ein bescheidener Mensch pflegt die menschlichen Umgangsformen der Höflichkeit und übt sein Zeremoniell als Integration in das Leben der Natur.

 

Eine KIEN- Anekdote

Einst wollte ein Europäer einen längeren Aufenthalt in Japan dazu nutzen, die Kampfkunst Jiu-Jitsu zu erlernen. Seine ersten Unterrichtsstunden verliefen für ihn jedoch sehr enttäuschend, bestanden sie nämlich nur aus langsamen, bedächtigen Bewegungen. Enttäuscht wandte er sich an den Meister und fragte, wann er den nun endlich mit dem Unterricht beginnen würde. Der Meister bat ihn, doch auf der Übungsmatte Platz zu nehmen, und fragte den Europäer, ob er denn wohl gut sitzen würde. Der Europäer bejahte und erwiderte, nun schon etwas missmutig geworden, was denn ein gutes Sitzen mit der Kampfkunst zu tun habe.

„Ich sehe ein“, entgegnete der Meister, „dass ihr das Kämpfen erlernen wollt. Aber wie wollt ihr kämpfen, wenn ihr euer Gleichgewicht nicht im Griff habt?“ „Ich erkenne nun wirklich nicht den Zusammenhang zwischen meinem Gleichgewicht und eurer Kampfkunst“, antwortete der Europäer.

„Wenn ihr nicht einmal im Sitzen euer Gleichgewicht halten könnt, wie wollt ihr dann kämpfen?“ Während dieser Worte hatte sich der Meister dem Europäer genähert und ihn leicht angeschubst, woraufhin der Europäer einfach umkippte.

Im Gegenzug bot der Meister dem Europäer an, das Gleiche bei ihm zu probieren. Doch so sehr sich dieser auch bemühte, der Meister war um keinen Millimeter zu bewegen. „Ich hoffe, dass ihr nun die Bedeutung des Gleichgewichts für die Kampfkunst und für euer Leben erkennt“, erklärte der Meister mit sanfter, aber bestimmter Stimme.

 

HINWEIS: Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Serie der „neun Hexagramme der Charakterbildung“ im I Ging. Beginnend mit der Ausgabe 177 (Das Auftreten) ist die Bescheidenheit die zweite Tugend dieser Reihe.

Text Helmut Knoblau

Titelbild — Der Erde, in der ein Berg verborgen ist, sieht man ihren Reichtum nicht an, denn die wahre Höhe ist nicht sichtbar. Daher wird es als Bild für die Bescheidenheit verwendet
Quelle: Adobe Stock: FILE #: 156204903

 

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