Diese Welt braucht Leadership – aber philosophisch!

Diese Welt braucht Leadership – aber philosophisch!

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Politik und Management wird vermehrt Führungsschwäche vorgeworfen. Und das ebne den Weg für extremistische Ideen und populistische Führungspersönlichkeiten. Laissez-faire und antiautoritär haben ausgedient. Nur wie soll das Leadership der Zukunft aussehen?

Text Hannes Weinelt

„Es gibt einen Mangel an Führung und an Orientierung in diesen Zeiten großer Unsicherheit“, vermerkte der ehemalige deutsche Bundesfinanzminister Peer Steinbrück in Richtung seines Parteikollegen Bundeskanzler Olaf Scholz. Und knapp ein Jahr später ist diese Regierung auch schon wieder Geschichte. Eine ähnliche politische Krise mit der Sorge der Unregierbarkeit gibt es in Frankreich. Und dass es im Vereinigten Königreich von 1979 bis 2016 (also in 37 Jahren) genauso viele Premierminister gab wie von 2016 bis 2024 (also in 8 Jahren) verdeutlicht das Problem. Eine aktuelle SORA-Umfrage zeigt, dass sich Menschen eine „starke Führung“ wünschen. Und dass ein starker Führer nicht mehr mehrheitlich abgelehnt wird. Putin, Xi Jinping, Erdogan und Trump lassen grüßen.

Flüchtige Moderne

Unter dem Begriff „Liquid Modernity“ kritisiert der polnisch-britische Soziologe und Philosoph Zygmunt Baumann (1925 – 2017) die Instabilität und Beliebigkeit moderner Führung. Die Komplexität und Schnelllebigkeit unserer Zeit lassen die Führungskräfte nicht mehr langfristig und visionär denken. Stattdessen ist die Führung opportunistisch und kurzfristig orientiert, was bei den Menschen zu Vertrauensverlust und Unsicherheit führt.

Ganz ähnlich argumentiert der slowenische Philosoph Slavoj Zizek: Zu sehr wird auf politische Korrektheit, populäre Meinungen und Machterhalt geachtet, anstatt mutige und tiefgehende Entscheidungen zu treffen.

Auf Ebene der Unternehmen diagnostiziert der Management-Vordenker Henry Mintzberg ebenfalls eine markante Führungsschwäche, wodurch zunehmend auf kurzfristige Gewinnmaximierung anstatt auf langfristiges strategisches Denken gesetzt wird. Bei der Belegschaft führt dies zum Verlust von Motivation und Vertrauen.

Zusammengefasst haben wir – wahrscheinlich aufgrund einer allgemeinen Verunsicherung angesichts von Komplexität und globalen Krisen in unserer heutigen Welt – übertechnokratische und überbürokratische Strukturen geschaffen. Es wird immer mehr verwaltet und immer weniger geführt. Phrasen und symbolische Maßnahmen ersetzen visionäre und mutige Entscheidungen. In der Gesellschaft führt dies zu einer weiteren Spaltung: Die einen halten gebetsmühlenartig an der Gestrigkeit von Hierarchien, als „heilige männliche Ordnung“ (Gerhard Schwarz) verunglimpft, fest und malen bei jedem autokratischen Piepston den Teufel von Diktatur und Faschismus an die Wand, die anderen – und das ist zunehmend die Mehrheit – rufen nach dem „starken Mann“, der endlich Verantwortung übernimmt und Orientierung und Sicherheit gibt.

Auf Ebene der Unternehmen diagnostiziert der Management-Vordenker Henry Mintzberg eine markante Führungsschwäche, wodurch zunehmend auf kurzfristige Gewinnmaximierung anstatt auf langfristiges strategisches Denken gesetzt wird. Bei der Belegschaft führt dies zum Verlust von Motivation und Vertrauen.

Wie jedoch kann und muss Leadership beschaffen sein, um nicht tatsächlich in Diktatur und Tyrannei zu enden?

Tugendhafte Antike

Für die klassischen Philosophen beruht Führung auf der Tugend. Nicht nur muss sich die Führungskraft durch Areté (wörtlich Exzellenz) auszeichnen, sondern sie muss auch in jedem Menschen die Tugendhaftigkeit fördern. Im Zentrum stehen dabei Sophia (Weisheit) und Phronesis (Klugheit), um Entscheidungen auf Basis tiefer Einsicht und Vernunft zu treffen und nicht nach oberflächlichen Gesichtspunkten. Ziel war immer die Eudaimonia, was besser als Gemeinwohl, wozu auch die Umwelt und auch kommende Generationen zählen, verstanden wird, denn als rein individuelle Glückseligkeit. Bei der praktischen Anwendung von Führung stand die Tugend der Gerechtigkeit an erster Stelle. Das ganze Werk „Politeia“ (Der Staat) von Platon dreht sich um diesen Begriff. Auch Sympathia, ein tiefes Verständnis und Mitgefühl für andere, sowie das aristotelische Konzept von Telos, dass jede Handlung auf ein höheres Ziel gerichtet sein sollte, gehören zur notwendigen Tugend-Ausstattung einer Führungskraft.

Der Weg zur Tyrannis

In dem Maße, wie die Tugendhaftigkeit der Führungsperson abnimmt, geraten Herrschaft und Führung in Verfall. Verkörpert die Führungskraft einen guten, gerechten und weisen Menschen, nennt Platon dieses Führungssystem Aristokratie (altgriechisch aristos für die Fähigsten). Kommen Ehrgeiz und Eifersucht in die Seele des Führenden, entsteht die Timokratie (altgriechisch timé für Ehre, Ansehen). Verschlimmert sich der Charakter zur Gier, entsteht die Oligarchie. Sie schafft eine Kluft zwischen wenigen extrem Reichen und vielen Armen, was schließlich zur Revolution des Volkes und zur Demokratie führt. Die Demokratie bezeichnet Platon als die bunteste aller Regierungsformen mit dem Seelenzustand einer falsch verstandenen Freiheit, die zur Zügellosigkeit, zum Individualismus, Egoismus und zur Verantwortungslosigkeit neigt. Wird Freiheit nicht im richtigen Sinne verstanden und gelebt, bringt der Mensch seinen eigenen inneren Tyrannen zur Geburt: die triebhafte Unersättlichkeit. Und diese wird ihn dazu veranlassen, den größten Volksverführer zum Regenten zu wählen, der sich nach anfänglichen Schmeicheleien und Versprechungen „vom Menschen zum Wolf“, also in einen Tyrannen verwandelt. „Denn übermäßige Freiheit scheint privat wie politisch in nichts anderes umzuschlagen wie in übermäßige Knechtschaft.“ Für Platon ist die Tyrannis die niedrigste und schlimmste aller Regierungsformen, denn hier werden die Menschen durch die Gewalt und Machtgier eines Einzelnen unterdrückt. Um des persönlichen Vorteils willen zerstört der Tyrann die moralische Integrität und den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Führung lässt sich nicht improvisieren

Dem Tyrannen mit seinem Eigeninteresse und Streben nach persönlicher Macht stellt Platon den Philosophenherrscher gegenüber, den er als Diener des Gemeinwohles betrachtet. Eine solche Führungspersönlichkeit fällt jedoch nicht vom Himmel, sondern muss ihre intellektuelle und moralische Eignung durch eine umfassende lebenslange Schulung unter Beweis stellen. In seiner „Politeia“ beschreibt Platon einen anspruchsvollen Bildungsweg, um eine Führungskraft auf ihre Aufgabe vorzubereiten: Bis zum 18. Lebensjahr stehen die Musische Bildung, zu der auch die moralischen Werte und Tugenden gehören, sowie die Gymnastik, die Stärke und Disziplin ausbilden soll, im Vordergrund. Ziel ist dabei die moralische und charakterliche Stabilität. Bis zum 30. Lebensjahr werden die intellektuellen Fähigkeiten geschult. Durch Mathematik und Geometrie lernt die zukünftige Führungskraft abstraktes und logisches Denken, durch Astronomie und Harmonik die Wertschätzung der kosmischen Struktur und Ordnung, durch Dialektik das Ergründen des Wesens des Seins und des Guten. Dann folgt bis zum 35. Lebensjahr die praktische Erfahrung im öffentlichen Leben. Dabei soll die menschliche Natur in all ihren Facetten kennengelernt und verstanden werden. Schließlich folgt noch eine intensive philosophische Ausbildung, um dem Wesen des Guten und der Weisheit näherzukommen, wodurch man erst versteht, wie das Wohl des Ganzen erreicht werden kann. Erst mit 50 Lebensjahren ist ein solcher Philosophenherrscher dann bereit, tatsächlich den Staat zu führen.

Zur Klärung der Sicht braucht es eine philosophische Ausbildung, um dem Wesen des Guten und der Weisheit näherzukommen, und zu verstehen, wie das Wohl des Ganzen erreicht werden kann
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Die älteste Quelle für philosophisches Leadership

Im Lunyü, den Gesprächen oder Analekten des Konfuzius, wird ein ähnlicher lebenslanger Bildungsweg beschrieben: „Mit fünfzehn Jahren richtete ich mich aufs Lernen hin, mit dreißig stand ich auf festem Grunde, mit vierzig war ich frei von Zweifeln, mit fünfzig verstand ich das Mandat des Himmels, mit sechzig wurde mein Gehör fein, mit siebzig konnte ich den Wünschen meines Herzens folgen, ohne das Maß zu überschreiten.“ Die Analekten können wohl als das älteste Handbuch für philosophisches Leadership betrachtet werden. Synthetisch möchte ich daraus einen Katalog von sieben Führungsprinzipien ableiten:

Wird Freiheit nicht im richtigen Sinne verstanden und gelebt, bringt der Mensch seinen eigenen inneren Tyrannen zur Geburt: die triebhafte Unersättlichkeit

  1. REN, was soviel wie Menschlichkeit, Mitgefühl oder Tugendhaftigkeit heißt. „Führe durch dein eigenes Beispiel. Wenn du gute Handlungen zeigst, wird das Volk dir folgen.“
  2. CHENG, Wahrhaftigkeit und Integrität, ist entscheidend für eine glaubwürdige Führung. „Sei wahrhaftig in deinen Worten und Handlungen. Nur dann wirst du das Vertrauen und den Respekt der Menschen gewinnen.“
  3. LI bezieht sich auf die Etikette, das respektvolle und höfliche Verhalten. „Behandle andere mit Respekt, unabhängig von ihrem Status oder ihrer Rolle.“
  4. XUE, Bildung als Schlüssel zur persönlichen Entwicklung und Förderung des Gemeinwohls. „Ein Führer sollte niemals aufhören zu lernen. Nur durch Wissen und Weisheit kann er die richtigen Entscheidungen treffen und Menschen inspirieren.“
  5. YI bedeutet Gerechtigkeit und Fairness. „Handle immer gerecht, auch wenn es schwer ist. Dein Verhalten soll niemals vom persönlichen Nutzen abhängen, sondern vom kollektiven Wohl.“
  6. HE heißt Harmonie und Einheit. „Fördere Harmonie in deiner Gemeinschaft und sei ein Förderer von Frieden.“
  7. ZEREN, Weitsicht und Verantwortung. „Handle mit Bedacht und übernehme Verantwortung für deine Entscheidungen. Denke an die Folgen deiner Taten für die Zukunft und für die nachfolgenden Generationen.“

In dem Maße, wie die Tugendhaftigkeit der Führungsperson abnimmt, geraten Herrschaft und Führung in Verfall.

In allen großen Führungspersönlichkeiten der Geschichte zeigen sich diese Prinzipien: Zum Beispiel bei Nelson Mandela, der nach 27 Jahren Haft und Jahrzehnten von Unterdrückung durch die Apartheid-Regierung nicht Rache, sondern Vergebung und Versöhnung forderte und vorlebte. Beim Rugby-Weltmeisterschaftsfinale 1995 trug er das Trikot der südafrikanischen Mannschaft und damit das Symbol der weißen Südafrikaner. Oder bei Abraham Lincoln, der nach dem Sieg seinen General U. Grant anwies, den besiegten General R. Lee und seine Soldaten nicht zu demütigen, sondern ihnen zu erlauben, ihre Waffen niederzulegen und in Würde nach Hause zurückzukehren. Bei seinem Besuch in einem Militärkrankenhaus ging er von Bett zu Bett und sprach mit den Soldaten, mit den eigenen und mit demselben Mitgefühl auch mit den feindlichen. „Der beste Weg, einen Feind zu besiegen, ist, ihn zum Freund zu machen“, war sein Credo.

Auch viele moderne Ansätze von Leadership bestätigen die notwendige Verbindung von Führung und Tugend, beziehungsweise von Führung und Philosophie wie das „Transformational Leadership“ nach James MacGregor Burns oder Howard Gardner in seinem Buch „Leading Minds“ oder Bill George in seinem Werk „Authentic Leadership“.

Das Leadership der Zukunft ist somit das Leadership der Vergangenheit. Es ist ein philosophisches Leadership, das zuallererst eine Führung mit Ethik ist, also mit Selbsterkenntnis, gelebtem Beispiel und Mitgefühl; zweitens mit einem Fokus auf das Gemeinwohl, also mit Gerechtigkeit, Fairness und Streben nach Einheit; und drittens mit dem Bestreben, eine positive Zukunft zu schaffen, also mit Weitsicht, Visionskraft und Verantwortung.

Wie wäre es, die Ausbildung in den Kaderschmieden der Parteien und des Managements nach den Worten von Konfuzius auszurichten: „Ein wahrer Führer ist jemand, der das Volk durch Tugend führt, nicht durch Gewalt.“

„Mit fünfzehn Jahren richtete ich mich aufs Lernen hin, mit dreißig stand ich auf festem Grunde, mit vierzig war ich frei von Zweifeln, mit fünfzig verstand ich das Mandat des Himmels, mit sechzig wurde mein Gehör fein, mit siebzig konnte ich den Wünschen meines Herzens folgen, ohne das Maß zu überschreiten.“ Konfuzius

„Fördere Harmonie in deiner Gemeinschaft und sei ein Förderer von Frieden.“ Konfuzius
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