Bewusst-Sein und Bewusst-Werden

Bewusst-Sein und Bewusst-Werden

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Eines der rätselhaftesten Phänomene des Universums

Niemand weiß, woher es kommt und wohin es geht. Wo es verortet ist und woraus es genau besteht. Wissenschaft, Religion, Psychologie und Philosophie ringen seit Jahrhunderten darum, es zu definieren. Bis heute ist es ihnen nicht gelungen.

Wie soll man jemandem vertrauen, wenn man sich selbst nicht vertraut?

 

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enseits aller Kontroversen ist man sich einig, dass es ein äußerst komplexes Phänomen ist, das man sicherlich nie genau erfassen wird. Ein echter Fortschritt. Im öffentlichen Kontext setzt sich langsam der Gedanke durch, dass es viele ungelöste Rätsel im Universum gibt und dass wir niemals alles verstehen werden. Noch in meiner späteren Schulzeit in den 1980er-Jahren wurde vermittelt, dass die Menschheit kurz davorsteht, die Welt insgesamt erfassen und alle Phänomene erklären zu können …

Damals habe ich mich gefragt: Ist das wirklich so wichtig? Haben Rätsel und Geheimnisse nicht auch ihren Wert? C. G. Jung meinte, dass die großen Fragen des Lebens nicht dazu da sind, beantwortet zu werden, sondern dazu, uns in Bewegung zu halten. Wagen wir uns also an das Phänomen Bewusstsein, das oft gleichgesetzt wird mit Erkenntnis, Wahrnehmung, Geist, Psyche, Seele, …

Alltagsbewusstsein: der flackernde Geist

Wer sich selbst beobachtet, stellt fest, dass das Bewusstsein normalerweise sehr unruhig ist. Wie ein Affe springt es umher, beschäftigt sich mit Wahrnehmungen, Zukunft und Vergangenheit, bewertet und beurteilt. Ganz automatisch unterscheidet es zwischen unangenehm und angenehm. Unangenehmes wehrt es ab und will es vermeiden, an Angenehmem festhalten. Diese Bewertungen und Urteile laufen ganz unbewusst ab und entspringen den Prägungen der Kindheit und Gewohnheitsmustern. Sie sind wie Autobahnen und entstehen durch die Verschaltung neuronaler Netzwerke. Sie steuern unser Verhalten und führen dazu, dass es uns sehr schwerfällt, „out oft the box“ zu denken. Oft leiden wir unter diese Automatismen, wissen aber nicht, wie wir sie überwinden können. Vorerst so viel: Es ist möglich …

Der „Besitz seiner selbst“ ist das Bewusstsein des unsterblichen Seelenfunkens in uns, ebenso wie die innere Wahrnehmung, dass dieses höhere Selbst mit unseren Gedanken, Gefühlen und Handlungen in einen inneren Dialog treten kann.

Bewusstsein, Bewusstlosigkeit und Identität

Wenn wir ohnmächtig werden, ist unsere Wahrnehmung ausgeschaltet, wir sind nicht ansprechbar, haben keine Kontrolle über das, was geschieht. Wer aufwacht, fragt sich zuerst: Wo bin ich? Was ist geschehen? Wenn das Gedächtnis einsetzt, wird man sich wieder seiner Ich-Identität bewusst – durch die Erinnerungen an die bisher gemachten Erfahrungen.

Die bewusste Wahrnehmung, die Präsenz im Hier und Jetzt und die Empfindung eines Ichs sind zurückgekehrt. Das Ich-Bewusstsein bildet sich mit ca. zwei bis drei Jahren und formt sich durch Erfahrungen. In der Pubertät erfolgt eine Bewusstseinsveränderung. Das Gehirn baut sich komplett um. Auf dem weiteren Lebensweg sammeln wir Erkenntnisse, prägen unsere Persönlichkeit und nehmen unseren Platz in der Gesellschaft ein. Wir haben eine bewusste Identität entwickelt – in verschiedenen Graden. Denn es gibt Menschen, die mit aktiver Aufmerksamkeit durch das Leben gehen und andere, die sich eher treiben lassen.

Selbstbewusstsein

Dieser Begriff hat viele verschiedene Bedeutungen. Es wird mit Selbstsicherheit gleichgesetzt, kann aber auch als „Besitz seiner selbst“ gelten. Hier stoßen wir auf den nächsten vieldeutigen Begriff, das Selbst. C. G. Jung definiert es als „Kernatom der Seele“, das sowohl Bewusstes als auch Unbewusstes enthält. Im Selbst sind alle Potenziale eines Menschen enthalten, es existiert, bevor der Mensch Bewusstsein seiner selbst hat. Für mich ist es vergleichbar dem göttlichen Fünklein von Meister Eckhart oder dem Atma der hinduistischen Philosophie.

So wäre der „Besitz seiner selbst“ das Bewusstsein dieses unsterblichen Seelenfunkens in uns, ebenso wie die innere Wahrnehmung, dass dieses höhere Selbst mit unseren Gedanken, Gefühlen und Handlungen in einen inneren Dialog treten kann. Und dass wir Prozesse in uns wahrnehmen und verändern können. Sodass wir unseren Werten gemäß handeln, also uns „beherrschen“ können.

Bewusstsein als Achtsamkeit und Gewahrsein

Das sind Begriffe aus der „buddhistischen Psychologie“. Im Gegensatz zu der seit 100 Jahren bestehenden westlichen Psychologie existiert die buddhistische Bewusstseinsdisziplin seit 2500 Jahren. Beide haben völlig verschiedene Ansätze. Der Westen sucht nachprüfbare objektive Ergebnisse und Definitionen. Der östliche Weg betont Erforschung und Schulung des Geistes und praktische Erfahrung: Es geht um ein „Bewusst-Werden.“

Dabei erfährt man, wie man aus Automatismen und zerstörerischen Gedankenkreisen herauskommt, nämlich mittels Achtsamkeit. Ein buddhistischer Gelehrter und Mönch definiert sie als „das klare und zielstrebige Gewahrsein dessen, was in den sukzessiven Momenten der Wahrnehmung gerade mit und in uns geschieht“.

Ich erinnere mich an die Rückmeldung einer Kursteilnehmerin, die diese Achtsamkeitsübung eine Woche lang durchführte. Sie war erschrocken über die vielen negativen Gedanken und Gefühle, die sie in sich entdeckte. Und sie war nicht die Einzige. Auch ich kenne das gut – und konnte mich größtenteils davon befreien. Das braucht innere Bewusstseinsarbeit. Denn viele wachsen mit einem feindseligen Menschenbild auf. Es ist geprägt von Konkurrenz und Wettbewerb, gegen das man sich mit einer Maske der Stärke und Sicherheit schützt. Und weil man sich oft bedroht fühlt, misstraut man den anderen oft und unterstellt ihnen schlechte Absichten.

Nicht nur der Buddhismus, sondern auch antike westliche Denker empfehlen zahlreiche Methoden, wie man negative Bewusstseinszustände erkennt, wahrnimmt und in eine förderliche innere Haltung transformiert. Die Epikureer erklären, dass man ständig eine wohlüberlegte Wahl treffen muss. Anstatt immer über Probleme und Übel nachzudenken und sich darauf vorzubereiten, möge man im Hier und Jetzt leben. Die Gedanken von schmerzhaften Dingen ablösen und den Blick auf das Positive lenken. Doch was tun bei Schwierigkeiten?

Bewusstseinserweiterung durch Probleme?

Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben, sagt der stoische Philosoph Epiktet. Es sind unsere Haltungen und Vorstellungen, wie etwas sein soll. Wie ein anderer Mensch sich verhalten, der Urlaub verlaufen oder das Wetter sich entwickeln soll. Wenn wir aber loslassen und uns auf das Abenteuer Leben einlassen, dann begegnen uns überall Gelegenheiten zum Lernen. Eine Haltung der Offenheit und Neugierde, gepaart mit Flexibilität, ist die Voraussetzung, weise zu werden. Das Leben ist voller Überraschungen und in jeder Situation haben wir die Gelegenheit, unsere Reaktion zu entscheiden. Der Manager Stephen Covey erklärt, dass zwischen einem Reiz und unserer Reaktion ein Entscheidungsfreiraum liegt. Hier können wir die Pause-Taste drücken und Bewusstsein, Wille und Vorstellungskraft aktivieren und eine Handlung oder Worte wählen, die mit unseren Werten in Kontakt steht. Und so aus den ungewollten Gewohnheitsmustern aussteigen.

Dazu ein Beispiel: Ein Referent wollte zu einem Kongress fliegen, auf dem er den Hauptvortrag halten sollte. Auf dem Flughafen angekommen, las er auf der Anzeigetafel, dass der einzige Flug zum Ort des Kongresses gestrichen worden war. Seine Reaktion auf diese unerwartete Wendung war ein Satz, den man sich in schwierigen Situationen ins Gedächtnis rufen kann: „Nun bin ich aber mal gespannt, wie mein Leben jetzt weitergeht!“ So eine Haltung ist Zeichen eines zentrierten Bewusstseins.

Das Selbst definiert C. G. Jung als „Kernatom der Seele“, das sowohl Bewusstes als auch Unbewusstes enthält.

Bewusstsein als Zentriertheit

In unseren Kursen arbeiten wir mit einer Grafik, die für viele Teilnehmer sehr nützlich ist. Sie erläutert den praktischen Aspekt des Bewusstseins als inneres Zentrum, von dem aus man in verschiedene Rollen des Lebens schlüpft. Ziel ist, in Übereinstimmung mit den eigenen Werten und Idealen ganz bewusst zu agieren. Das ist Authentizität im philosophischen Sinne. So bleibt man sich in den unterschiedlichen Lebensbereichen treu. Und kann gleichzeitig einfühlsam und selbstbewusst mit den anderen in Kontakt treten.

In der Grafik sind sechs Lebensbereiche abgebildet. Ein Beispiel: Jeder Mensch ist seiner Eltern Kind, wir sind alle Bürger der Gesellschaft, meistens hat man einen Job, oft einen Partner und/oder man ist Elternteil. Man hat Freunde und vielleicht auch das eine oder andere Hobby oder gesellschaftliches Engagement. Jedes Mal treffen wir mit unterschiedlichen Menschen zusammen, stehen in jeweils anderer Beziehung. Z. B. sind wir im Job einem Chef untergeordnet, haben jedoch in der Freizeit vielleicht eine Führungsposition. Wenn wir unsere Eltern treffen, gibt es klare Erwartungen aus der Familiengeschichte. Wenn ich davon frei werden will, kann ich einen Konflikt erleben. Dazu sollte ich mich bewusst entscheiden und gleichzeitig auch wohlüberlegt und einfühlsam in das Gespräch gehen.

Der Wechsel von einem Lebensbereich zum anderen, also von einer Rolle zur anderen, sollte immer über das Zentrum erfolgen. Hier sitzt das Bewusstsein, das im Idealfall alles aus der Vogelperspektive beobachtet. Von oben trägt es dazu bei, dass wir unser Denken, Sprechen und Handeln in Übereinstimmung mit unseren Werten wählen: uns selbst treu bleiben und aus einer inneren Ruhe heraus agieren. Wenn wir einen Lebensbereich verlassen, also z. B. den Arbeitsplatz, können wir unterwegs reflektieren, wie zentriert und bewusst wir agiert haben. Uns mit dem Zentrum verbinden und mit Achtsamkeit die nächste Aktivität beginnen.

Praktische Tipps für den bewussten Alltag:

  • Bewusste Körperwahrnehmung

Schließen Sie die Augen, legen Sie die Hände entspannt auf die Oberschenkel und nehmen Sie sich einige Minuten Zeit, Ihren Körper wahrzunehmen: das Gewicht auf dem Stuhl, die Aufrichtung der Wirbelsäule, den Kontakt mit den Händen auf dem Oberschenkel etc. Im Internet gibt es zahlreiche Tutorials, die Sie zu derartigen Übungen anleiten.

Vor allem in schwierigen Situationen können Sie mit einiger Übung den Atem beruhigen, sich bewusst im Boden verankern und aufrichten.

  • Innere Zustände wahrnehmen

Beobachten Sie Ihre Gedanken, Gefühle und sonstige innere Prozesse. So erkennen Sie Automatismen und „Autobahnen“, denen Sie gar nicht folgen wollen. Oder auch positive und förderliche Elemente, die Sie verstärken können.

  • Konzentrationsübungen

Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit ganz auf einen Punkt oder auf Ihren Atem. Lassen Sie alle Gedanken wie Wolken vorüberziehen und bleiben Sie fest.

  • Morgendliche und abendliche „Einkehr“

Das Morgenritual ist schon von den Pythagoreern überliefert: Bevor sie mit anderen in Kontakt traten, spazierten sie in ihrem Garten umher und sammelten sich.

Das Abendritual eines inneren Zwiegesprächs kennen wir von Marc Aurel. Er sammelte Erkenntnisse und Erfahrungen des Tages in seinen „Selbstbetrachtungen“.

  • Offenheit und Abenteuerlust

Vertrauen Sie sich dem Schicksal an mit dem Mantra: „Nun bin ich aber mal gespannt, wie mein Leben jetzt weitergeht!“

Eine spannendes Bewusst-Werden wünscht

Gudrun Gutdeutsch

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