Dr. Christina Stock, Autor bei Abenteuer Philosophie Magazin https://www.abenteuer-philosophie.com/author/christina-stock/ Magazin für praktische Philosophie Thu, 29 Jun 2023 06:44:42 +0000 de hourly 1 Verantwortung – Wie aus Last Freiheit wird https://www.abenteuer-philosophie.com/verantwortung-wie-aus-last-freiheit-wird/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=verantwortung-wie-aus-last-freiheit-wird https://www.abenteuer-philosophie.com/verantwortung-wie-aus-last-freiheit-wird/#respond Thu, 29 Jun 2023 06:18:59 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=6543 Magazin Abenteuer Philosophie

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Der Begriff Verantwortung hat heutzutage einen schweren, einengenden Beigeschmack. Wie etwas, das uns unfrei macht und dem man lieber aus dem Weg geht. Doch zu Unrecht, wie der bekannte Wiener Philosoph und Psychotherapeut Viktor Frankl meint.

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Der Begriff Verantwortung hat heutzutage einen schweren, einengenden Beigeschmack. Wie etwas, das uns unfrei macht und dem man lieber aus dem Weg geht. Doch zu Unrecht, wie der bekannte Wiener Philosoph und Psychotherapeut Viktor Frankl meint.

 

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er kennt das nicht: Mehrere Verantwortungen im Beruf, dazu die der Familie, Kinder, Eltern, soziale Verpflichtungen, Mitgliedschaft in einem Verein … Wo bleibt da die Freiheit? Ist es nicht besser, weniger Bereiche mit Verantwortung beziehungsweise Verpflichtungen zu übernehmen, dafür mehr persönliche Freiheit zu empfinden?

Nach Frankl braucht es nicht weniger, sondern mehr Verantwortungsgefühl in unserer Welt. Auf einem Kongress in den Vereinigten Staaten erklärte der Gründer der dritten Wiener Schule für Psychotherapie, der „Logotherapie“, den amerikanischen Teilnehmern: „Ich würde Ihnen empfehlen, dass Sie Ihre Freiheitsstatue an der Ostküste durch eine Verantwortungsstatue an der Westküste ergänzen!“ Und weiters: „Freiheit ist nur die halbe Wahrheit, ist nur die eine Seite der Münze. Das komplette Phänomen der Sinnfrage inkludiert die Verantwortlichkeit.“

WIE HÄNGEN FREIHEIT UND VERANTWORTUNG ZUSAMMEN?

„Zu unserem Schicksal haben wir zu stehen wie zu dem Boden, auf dem wir stehen – ein Boden, der das Sprungbrett für unsere Freiheit ist.“

Erst wenn wir uns dem Leben stellen, vor den Anforderungen und Möglichkeiten nicht fliehen, sondern Verantwortung (auch mit dem Risiko der Fehlschläge) übernehmen, entstehen neue Kanäle, die, wenn sie gebahnt sind, neue Freiheiten zulassen: Freiheit im Sinne von Bewegungsradius, von Gestaltungsspielraum und Möglichkeiten.

Je mehr Verantwortung, desto mehr Erfahrungsschatz, desto mehr Boden unter den Füßen und Sicherheit im Leben. Und somit mehr Freiheit, sich zu bewegen.

Eine andere Belegung des Begriffes ist heutzutage nicht unbedingt prickelnder, denn wo man früher oft von „Schuld“ gesprochen hat, nimmt man – ob der negativen Konnotation – im heutigen Wording mehr und mehr „Verantwortung“ als Begriff, denn „schuld“ sein möchte schließlich niemand.
Hierin liegt aber viel Potenzial, das allzu leicht verloren geht: Denn welcher Schatz für die eigene „Lernkurve“ liegt darin, wenn man sich eingestehen kann, einen Fehler gemacht zu haben.

„Ich würde Ihnen empfehlen, dass Sie Ihre Freiheitsstatue an der Ostküste durch eine Verantwortungsstatue an der Westküste ergänzen!“
Viktor E. Frankl

Hier entsteht Bewusstsein, die Möglichkeit einer Wiedergutmachung und letztlich auch einem Gewinn von Sicherheit. Lebt man dagegen aber in der Haltung, Verantwortung ständig abgeben zu wollen, geht damit auch die Entscheidungskompetenz und der Selbstwert verloren.

„Wenn man dem Menschen die Schuld abspricht, dann spricht man ihm die Würde ab.“

WAS BEDEUTET VERANTWORTLICHKEIT BZW. VERANTWORTUNG?

Im Wort steckt der Begriff der Antwort. Also die Fähigkeit, auf die Fragen und Themen des eigenen Lebens antworten zu können. Frankl stellt fest, dass das Leben, das uns mit seinen mannigfachen Erprobungen permanent „Fragen stellt“, auffordert, darauf zu antworten – bewusst oder unbewusst. Ob wir wollen oder nicht. Denn schließlich leben wir ja nicht „irgendwie“.

Und jeder Mensch hat seine ganz spezielle, individuelle Art, zu antworten. Dies ist gleichzeitig die größte Freiheit und die größte Verantwortung.

Frankl meint: „Es ist etwas Furchtbares um die Verantwortung des Menschen – und zugleich etwas Herrliches! Furchtbar ist es zu wissen, dass ich jeden Augenblick Verantwortung trage für den Nächsten, dass jede Entscheidung, die kleinste wie die größte, eine Entscheidung ist für alle Ewigkeit. Dass ich jeden Augenblick eine Möglichkeit … verwirkliche oder verwirke … Doch herrlich ist es: zu wissen, dass die Zukunft und mit ihr die Zukunft der Dinge, der Menschen um mich, irgendwie, wenn auch in noch so geringem Maße, abhängig ist von meiner Entscheidung in jedem Augenblick. Was ich durch sie verwirkliche, in die Welt schaffe, das rette ich in die Wirklichkeit hinein …“

Oft assoziieren wir Verantwortung recht eindimensional mit beruflichen oder familiären Aufgaben. Frankl spannt drei „Straßen“ auf, in denen es darum geht, einen Sinn zu finden, Bewusstsein und Verantwortung zu entwickeln:

  1. Die naheliegendste Form, Verantwortung in einer Gemeinschaft zu übernehmen, ist die Arbeit. Der Schuster ist für gute Schuhe verantwortlich, der Lehrer für die Erziehung der Schüler, die Eltern für die Kinder etc. Arbeit kann sinnstiftend sein. Aber nicht nur im Endprodukt der Arbeit wird man den Sinn entdecken, sondern auch darin, ob man beispielsweise zu einem guten Klima unter den Kollegen beiträgt, ob man Spitzen des Zusammenlebens, die bei intensiver Arbeit immer auftreten werden, zu deeskalieren vermag, und auch darin, ob man zur rechten Zeit am rechten Ort ist – damit das Rad des Ganzen gut rollt. Leistungsfähigkeit bezieht sich also auf alles, wo man kreativ ist und wo man sich einbringt.
  1. Die zweite Kategorie umfasst Erlebniswerte. „Auch zur Freude kann der Mensch ,verpflichtet‘ sein. In diesem Sinne wäre einer, der in der Straßenbahn sitzt und Zeuge eines prächtigen Sonnenuntergangs wird oder den Duft einer in Blüte stehender Akazie wahrnimmt und sich diesem möglichen Naturerlebnis nicht hingibt, sondern in seiner Zeitung weiterliest in einem solchen Augenblick irgendwie ,pflichtvergessen‘.“ Es geht darum, das Leben wahrzunehmen, aufzunehmen mit all seinen verschiedenen Aspekten. Auch die humane Form von Liebe zählt Frankl dazu, weil es in der reifen Form von Liebe darum geht, den anderen in seiner Einzigartigkeit und in seiner reinsten Form wahrzunehmen und zu erkennen.
  2. Und als drittes Element, das häufig dann zutage tritt, wenn sowohl die „Leistungsfähigkeit“ als auch das „Erleben“ beispielsweise bei Krankheit oder im hohen Alter eingeschränkt sind, versteht Frankl die „Leidensfähigkeit“. Jene Fähigkeit, seinem unabänderlichen Schicksal so oder so zu begegnen. „Aus den negativen Aspekten, ja vielleicht gerade aus ihnen etwas Sinnvolles herauszuschlagen und sie solcherart in etwas Positives zu transformieren: das Leid in Leistung, die Schuld in Wandlung, den Tod in einen Ansporn zu verantwortetem Tun.“ Angesichts der tragischsten Aspekte unseres Daseins hat der Mensch die Freiheit und die Verantwortung, das Beste daraus zu machen. Laut Frankl gibt sich immer die Gelegenheit, eine Tragödie in einen Triumph zu verwandeln. Ob wir diese sehen und ergreifen können, liegt an uns.

„Freiheit ist nur die halbe Wahrheit, ist nur die eine Seite der Münze. Das komplette Phänomen der Sinnfrage inkludiert die Verantwortlichkeit.“
Viktor E. Frankl

Bei einer von Frankl aufgegriffenen Studie des IMAS über den Respekt vor anderen Menschen zeigte sich, dass die Österreicher (hier wurde die Studie gemacht, bin mir aber ziemlich sicher, dass dies auch für andere Länder gilt) jene Menschen am meisten respektieren, die in sehr schwierigen Umständen Positives bewirkt haben. Die sich von schwierigen Umständen nicht erdrücken ließen, sondern genau daraus eine Leistung vollbracht haben. Aber Achtung: Falls Sie nun eine spezielle Person im Kopf haben, die Ihrer Ansicht nach genau das Gegenteil macht, nämlich im Selbstmitleid versinkt oder allen anderen die Schuld zuschiebt: „Heroismus kann man nur einer einzigen Person abverlangen – sich selbst.“ So Frankl.

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WEM GEGENÜBER GILT ES, VERANTWORTUNG ZU ÜBERNEHMEN?

  1. Gegenüber sich selbst
    Jeder Mensch bringt sowohl genetische als auch familiäre beziehungsweise soziale Prägungen mit, jedoch kann er jederzeit an die „Trotzmacht des Geistes“ andocken, die zu all diesen Prädispositionen Stellung beziehen kann – und eigentlich auch muss. Mit der „Trotzmacht des Geistes“ meint Frankl nicht nur Widerstand zu leisten, sondern auch im Meer der Möglichkeiten suchen und finden zu können, wer man sein möchte. „Mensch sein heißt eben jeweils entscheiden, was aus mir werden soll, und das heißt wieder, die Verantwortung übernehmen dafür, was ich aus mir gemacht habe. Aus alledem folgt, wer jemanden aufgrund dessen beurteilt oder verurteilt, was er biologisch, psychologisch und soziologisch mitgebracht hat, aber nicht aufgrund dessen, was er daraus gemacht hat, der tut ihm von vornherein Unrecht.“
  2. Gegenüber der Umgebung
    Jeder Mensch ist „urgewollt und einzigartig“, so das Credo der Logotherapie. Das Leben dient dem Individuationsprozess, dem eigenen inneren Wesen näherzukommen und es auch auszudrücken. Frankl hat zeit seines Lebens die These vertreten, dass dieser Individuationsprozess nur im Zusammenleben möglich ist. „Der Mensch wird erst am Du zum Ich.“ Jeder Mensch ist somit ein ungeschliffener Stein, mit seiner eigenen Kraft und Farbe, der allerdings nur dann Sinn macht, wenn er auch Teil jenes Mosaikes ist, das seine Umgebung – letztlich die ganze Menschheit – ausmacht. Somit trägt man Verantwortung – und das ist auch das Spezielle an seiner Logotherapie– nicht nur sich selbst gegenüber, sondern immer auch gegenüber den Mitmenschen.Welcher Mitmensch, Partner, Elternteil, Arbeitskollege, Chef möchte ich sein? Was macht Sinn – für mich UND das Ganze? Damit das Ganze glänzen kann und nicht nur ein Stein.
  3. Gegenüber der Zeit
    „…aber ist nicht gerade diese radikale Vergänglichkeit ein Aufruf, jeden Augenblick auch zu nutzen, und das heißt, die in ihm schlummernde Möglichkeit, einen Sinn zu erfüllen, auch zuverwirklichen? Ist nicht die Vergänglichkeit ein Aufruf zu Verantwortlichkeit?“
    Jeder Augenblick bietet ein Meer an Möglichkeiten zu agieren, zu reagieren, Sinn zu verwirklichen. Dies bedeutet enorme Freiheit – und gleichzeitig enorme Verantwortung.
    Dieser Gedanke hat etwas Aufrüttelndes und gleichzeitig etwas Beruhigendes.
    „Sobald sie (die Möglichkeiten) nämlich einmal verwirklicht worden sind, sind sie es ein für alle Mal. Denn eine Möglichkeit, die wir in eine Wirklichkeit verwandelt haben, haben wir sozusagen ins Vergangen-Sein hineingerettet, wo nichts unwiederbringlich verloren, sondern alles unverlierbar geborgen ist.“

In einem Satz lässt sich also zusammenfassen: Leben heißt frei sein und Leben heißt verantwortlich sein. Ich wünsche Ihnen, dass Sie von diesen Ideen ebenso beflügelt wie ergriffen werden und dass Sie weder vor der Verantwortung noch vor der Freiheit ausweichen, sondern dass Sie sie nützen mögen – für sich und Ihr Umfeld! Ap

VIKTOR EMIL FRANKL (* 26. März 1905 in Wien; † 2. September 1997 in Wien) war ein österreichischer Neurologe und Psychiater. Er begründete die Logotherapie und Existenzanalyse – vielfach auch bezeichnet als die „dritte Wiener Schule der Psychotherapie“. Eines seiner bekanntesten Werke ist das im Jahr 1946 erschienene „… trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“, in dem Frankl seine Erlebnisse und Erfahrungen in vier verschiedenen KZs während des Zweiten Weltkriegs schildert.

Drei interessante und auch lebenswendende Punkte aus seiner Biografie:

– 1941 bekam er ein Visum, um als Jude noch rechtzeitig in die USA auswandern zu können. Er ließ es jedoch verfallen, um seine Eltern nicht allein in der Ungewissheit zurückzulassen.

– In einer Nacht im KZ, die er als einen der schlimmsten Momente seines Lebens bezeichnete, geplagt von Hunger, Kälte und Krankheit, hatte er zugleich eine seiner lichtvollsten Erkenntnisse, nämlich, dass ihm von außen ziemlich alles genommen werden kann: sein Name, seine Gesundheit, äußere Freiheit in jeglichem Sinne …, allerdings nicht die Freiheit, wie er darauf reagiert, ob er hadert und Hass schürt oder ob er die letzte Kraft dazu nutzt, etwas Sinnvolles zu finden und zu tun.

– Frankl litt zeit seines Lebens unter Höhenangst. Das berühmt gewordene Zitat: „Man muss sich ja nicht alles von sich selbst gefallen lassen“, lebte er nicht nur dadurch, dass er bewusst ausgesetzte Klettersteige bewältigte, sondern auch im Alter von 67 Jahren den Pilotenschein machte.

Christina Stock ist seit Jahren begeistert von V. Frankls Büchern. In ihrem Beruf als Ärztin an einer onkologischen Abteilung sind seine Ideen auch im Alltag sehr präsent. Derzeit nimmt sie am Frankl-Institut Wien am Ausbildungslehrgang zur Logopädagogik teil. Warum sie von Frankl so fasziniert ist: „Ich kenne niemanden, der in so prägnanten Worten mit so einer klaren Überzeugung den Menschen die eigenen geistigen Kräfte und Möglichkeiten so bewusst macht wie er. Seine Herangehensweise macht Menschen stark – in einer sehr schönen, altruistischen Art und Weise.“

Christina Stock

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Was aber ist Schönheit? Schönheit ist so viel wie der Glanz des Guten, Göttlichen und Wahren. Schönheit ist der Glanz, der alles das umgibt, was sinnvoll und bejahbar ist. (Quarch in: Platon und die Folgen)

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as aber ist Schönheit? Schönheit ist so viel wie der Glanz des Guten, Göttlichen und Wahren. Schönheit ist der Glanz, der alles das umgibt, was sinnvoll und bejahbar ist. (Quarch in: Platon und die Folgen)

Herr Quarch, wie definieren Sie als Philosoph den Begriff Schönheit?

Eine schwierige Frage, denn Philosophen haben Schönheit in unterschiedlichen Epochen höchst unterschiedlich interpretiert. Die griechischen Philosophen folgten der Deutung der Dichterin Sappho, die sagte: „Schön ist das, was einer liebt!“ In der griechischen Kunst und in der Renaissance suchte man das Schone in der geordneten Proportion und der Harmonie. Und ein neuzeitlicher Denker wie Immanuel Kant konnte sagen: „Schön ist, was ohne Interesse gefallt!“ – was so ziemlich das genaue Gegenteil der Interpretation Sapphos ist.

Ich halte es mit den alten Griechen: Schönheit ist das, was Menschen begeistert und unbedingt anspricht, weil es ihnen die Wahrheit über ihr eigenes Sein offenbart.

Wie stellen Sie den Zusammenhang zwischen Schönheit und dem eigenen Sein her?

Dafür müssen wir zunächst einmal den delphischen Imperativ befolgen: Erkenne dich selbst! Wir  müssen uns fragen, wie sich das Wesen des Menschseins beschreiben lasst. Und das ist weiß Gott nicht einfach – zumal die zeitgenössische Philosophie solche Fragen verbietet. Lassen Sie es mich deshalb erneut mit den Griechen versuchen! Für Platon und die Seinen war klar: Sein ist Lebendigkeit. Und Lebendigkeit folgt einer ihr eigenen Logik: Sie organisiert sich in Systemen, die allesamt die Tendenz haben, mit sich selbst übereinzustimmen.

Diesen Zustand nennt die griechische Sprache harmonía. Wenn man im Sinne der abendländischen Tradition das Schone als das Harmonische bestimmt, dann ist verständlich, inwiefern Schönheit die Wahrheit über die Lebendigkeit verrat: Sie macht ihr Grundprinzip leicht verständlich.

Als Platon-Liebhaber sprechen Sie in einem Ihrer Vorträge von der Verbindung zwischen der Philosophie und der Schönheit.

In Platons Augen ist Schönheit so etwas wie die sinnen fällige Erfahrung des Guten und Sinnvollen. Sich mit Schönem zu befassen und sich auf Schönes einzulassen, ist in seinem Verständnis deshalb eine Grundvoraussetzung für alles Philosophieren. Denn am Schönen wird erfahrbar, was das Gute und Göttliche ist: stimmige Harmonie – Übereinstimmung eines Seienden mit sich und der Welt.

„Wer mit dem Schönen und Göttlichen umgeht, wird selbst schön und göttlich“, sagte Platon.

Wie nehmen Sie diesbezüglich die Strömungen des Zeitgeistes wahr?

Das ist sein Programm der Philosophie. Wir haben uns weit von diesem Schönheitsverständnis entfernt. Schönheit gilt nur noch als das Gefällige, das bestimmten konventionellen Schönheitskriterien genügt. Dadurch hat das Schöne seine begeisternde Kraft eingebüßt. Es ist zur konsumierbaren Ware konvertiert und dadurch des Potenzials beraubt worden, Menschen zu verändern.

Kann man den Sinn für das Schöne schulen?

Durchaus. Der erste Schritt dazu ist eine Schulung der Wahrnehmung. Um Schönheit zu erfahren, muss man wahrnehmen – sich öffnen für das Ansprechende in Natur und Kunst. Das bedeutet aber auch, sich von Erwartungen und Konzepten freizumachen. Wer in ein Museum geht, um sich informieren zu lassen oder um Bilder zu konsumieren, wird ihre Schönheit nicht wahrnehmen. Man muss sich dem Anspruch des Schönen stellen und sich darauf einlassen. Sonst bleibt man nur bei sich.

In Zeiten des Wandels (Klimakrise, Digitalisierung, Werteverlust) spielt doch die Kunst auch eine Rolle.

Kunst hat immer die Kraft, Menschen zu begeistern und kulturelle und geistige Transformationen zu beflügeln. Das wird aber nicht gelingen, solange der Kunstbetrieb total kommerzialisiert ist und sich, was Kunst ist, nicht durch Schönheit, sondern durch seinen Marktwert definiert. Das ist meines Erachtens der Grund für die beispiellose kreative Flaute der gegenwärtigen Zeit. Der Homo oeconomicus hat den Künstler verdrängt.

Welche Ansätze sehen Sie, den Spieß wieder umzudrehen?

Offen gestanden sehe ich davon nur sehr wenig. Deshalb bin ich selbst aktiv geworden und habe mit einigen Gleichgesinnten eine Neue Platonische Akademie ins Leben gerufen, die es sich nach dem Vorbild der antiken Akademie Platons und der platonischen Renaissance-Akademie Marsilio Ficinos unter anderem zur Aufgabe machen wird, das Bewusstsein fur die Notwendigkeit der Schönheit neu zu wecken. Mitte 2020 wollen wir damit an die Öffentlichkeit treten.

Haben Sie einen praktischen Tipp für unsere LeserInnen, wie man seine Sensoren für das Schöne empfänglicher macht bzw. wie man mehr Schönheit in den heutigen Alltag bringen kann?

Solange die Sonne auf- und untergeht, gibt es an Schönheit keinen Mangel. Ebenso wenig, solange es Blumenläden gibt. Schönheit ist da. Man muss sie nur sehen. Wichtig dafür ist die innere Haltung: Wer immer nur cool sein will und meint, nichts und niemand durfte oder wurde einen angehen, wird ewig für den Anspruch des Schönen taub und blind bleiben. Wer sich darin gefällt, die einfachen

Schönheiten des Lebens kitschig zu finden und sich dessen schämt, von Schönheit berührt zu werden, wird nichts von der begeisternden Kraft des Schönen finden. Man kann so leben – ber man ist dann von allen guten Geistern verlassen.

 


Christoph Quarch

© Christoph Quarch

„Ich bin Philosoph aus Leidenschaft. Seit mir als jungem Mann ein Büchlein mit „Platons Meisterdialogen“ in die Hand gefallen ist, beseelt mich eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die ich als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben verstehe. Als Bestsellerautor, Redner, ZEIT-Reiseleiter/-veranstalter, Sinnstifter und Denkbegleiter für Unternehmen greife ich zurück auf die großen Werke der abendländischen Philosophie, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen.

Meine Philosophie kreist um die Frage erfüllten Menschseins im 21. Jahrhundert: Was bedeutet es, in vollem Sinne lebendig zu sein? Worin liegt im digitalen Zeitalter die unveräußerliche Würde des Menschen? Welches Denken brauchen wir, um den Herausforderungen des Klimawandels gewachsen zu sein?

Antworten darauf ergeben sich für mich aus dem Umstand, dass der Mensch ein Beziehungswesen ist: Unser Selbst formt sich im Gespräch mit dem anderen; wir entdecken Sinn, indem wir uns von der Welt anrühren lassen. Leben gelingt, wo wir – zurückgebunden an die lebendige Natur – gemeinsam schöpferisch tätig sind.“

Als Radiophilosoph ist er in allen öffentlichen Sendern vertreten, einmal wöchentlich in seiner SWR-aktuell-Kolumne „Der Frühstücks-Quarch“. Er lehrt Ethik und Wirtschaftsphilosophie an drei Hochschulen und ist einer der weltweit innovativsten Platon-Spezialisten und einer der besten Kenner des griechischen Geistes im deutschsprachigen Raum. Für ZEIT REISEN ist er seit 2016 als Philosophiereiseleiter tätig. Als Autor und Herausgeber sind von ihm zahlreiche Bücher erschienen, zuletzt: „Aufbrechen. Philosophische Inspirationen für Reisende“ (legendaQ 2019), „Wo die Seele singt. Über Kunst in Unternehmen“ (ReMedium-Verlag 2019), „Das große Ja. Ein philosophischer Wegweiser zum Sinn des Lebens“, „Platon und die Folgen“ (J.B. Metzler 2018).

Er ist verheiratet und hat zwei noch schulpflichtige Kinder und lebt mit seiner Familie in Fulda.

Mehr unter: www.christophquarch.de

 

 

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