Mag. Barbara Fripertinger, Autor bei Abenteuer Philosophie Magazin https://www.abenteuer-philosophie.com/author/barbara-fripertinger/ Magazin für praktische Philosophie Fri, 15 Dec 2023 10:51:06 +0000 de hourly 1 Humor und Optimismus https://www.abenteuer-philosophie.com/humor-und-optimismus/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=humor-und-optimismus https://www.abenteuer-philosophie.com/humor-und-optimismus/#respond Wed, 29 Jun 2022 23:03:29 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=5565 Magazin Abenteuer Philosophie

Wie wir uns das Leben leichter lachen
Kinder lachen etwa 400 Mal am Tag. Früher taten das Erwachsene auch. Vor fünfzehn Jahren lachten Erwachsene nur mehr 15 Mal täglich. Und wie oft lachen wir heute? Ich konnte dazu nur Zahlen für Österreich finden: fünf- bis achtmal. Warum es also nicht schaden kann, bewusst öfter zu lachen … und warum davon in Zukunft unser aller Leben abhängen kann …

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Wie wir uns das Leben leichter lachen

Kinder lachen etwa 400 Mal am Tag. Früher taten das Erwachsene auch. Vor fünfzehn Jahren lachten Erwachsene nur mehr 15 Mal täglich. Und wie oft lachen wir heute? Ich konnte dazu nur Zahlen für Österreich finden: fünf- bis achtmal. Warum es also nicht schaden kann, bewusst öfter zu lachen … und warum davon in Zukunft unser aller Leben abhängen kann …

Wie schreibt man einen Artikel über Humor? Muss dieser nicht vor Witz und Weisheit sprühen? Und ich hadere: Warum habe gerade ich mich für diesen Artikel – freiwillig – gemeldet? Ein Clown hat mir einmal erklärt: „Will jemand besonders witzig sein, wirkt das immer furchtbar peinlich!“
Ein anderer Rat, der mir in diesem Moment einfällt: „Nimm dir vor, dich mindestens einmal am Tag so richtig zu blamieren.“ Ist aber ein Artikel der richtige Ort für solch eine Blamage? Aber jetzt verstehe ich die zweite Botschaft des oben erwähnten Clowns besser: „Wahre Komik entsteht erst aus Todesangst …“ Ich sitze also erstarrt wie eine Maus vor der Schlange angesichts der leeren Bildschirmseite meines Computers.

Ein Experiment

Jetzt kommt mir eine andere Geschichte in den Sinn: ein Experiment. Es soll veranschaulichen, ob Sie von Ihrem Partner oder von Ihrem Hund mehr geliebt werden. Anmerkung: Katzen oder Hamster eigenen sich dafür weniger!
Versuchsanordnung: Sperren Sie Partner und Hund (allenfalls auch nacheinander – je nach Größe) in den Kofferraum Ihres Autos. Öffnen Sie ihn nach einer Stunde und Sie sehen ein eindeutiges Ergebnis. Und wenn dieses Experiment vielleicht auch nicht tauglich ist, die Liebe oder Güte einer Partnerschaft gegenüber dem Vergleichshund festzustellen, so ist es ein wunderbares Experiment, um den Humor zu testen.
Stellen Sie sich also vor, Sie sind im Kofferraum eingesperrt: Was tun Sie in dieser Stunde? Woran denken Sie? Was fühlen Sie? – Die einzige Handlungsoption, die Ihnen bleibt, – zumindest nachdem Sie diesen Artikel gelesen haben, – ist, mit Humor zu reagieren. Welches Ausstiegsszenario planen Sie? – Ich meine hier nicht den Ausstieg aus Ihrer Beziehung, sondern mit welchen Worten, welcher Gestik und Mimik entsteigen Sie dem Kofferraum?

…. Raum und Zeit zum Nachdenken … (Sie haben eine ganze Stunde Zeit.)

Haben Sie etwas WIRKLICH Gutes gefunden? Gratulation, Sie sind ein humorvoller Mensch.

Herr, schenke mir Sinn für Humor! Gib mir die Gnade, einen Scherz zu verstehen, damit ich ein wenig Glück kenne im Leben und anderen davon mitteile.

Thomas Morus

An diesem Beispiel erkennen wir die unendlich vielen Vorteile eines humorvollen Lebens. Denn es gibt im Alltag viele Kofferräume, in denen wir uns von Menschen oder Situationen eingesperrt fühlen, – aber wir sind uns auch selbst der beste Gefängniswärter. Wir sperren uns ein, wenn wir uns selbst zu wichtig nehmen, unsere eigenen Befindlichkeiten und Bedürfnisse, unsere Sorgen und Ängste überdimensional groß werden lassen. Natürlich dürfen wir wütend sein, uns ängstigen, unsere Sorgen pflegen, die Tragik des Lebens – im Großen wie im Kleinen – ganz auskosten. Aber was bringt es? Deswegen geht der Kofferraum nicht früher auf! Es ist also einfach intelligenter, sich in dieser Zeit ein lustiges „Ausstiegsszenario“ zu überlegen. Die Zeit wird dann viel amüsanter und schneller vergehen. Garantiert!

Tragik und Tiefe des Humors

Jetzt kommt das Gegenargument der Oberflächlichkeit. Aber das greift nicht. Steigen Sie aus dem Kofferraum mit dem Witz auf den Lippen:
„Warum summen Bienen? – Weil sie den Text vergessen haben!“
Nein, das funktioniert nicht. Gerade in der Tragik und in der Selbstbetroffenheit der Situation müssen Sie wirklich in die Tiefe gehen. Der Humor, den Sie hier brauchen, wird aus dem Grunde Ihres Herzens und Denkens geboren und nicht an der Oberfläche.

Wir können sagen: Das Leben ist ein Spiel. Wir nehmen selbst Spiele meist zu ernst. Wie dann erst das Leben! Aber es geht um eine gewisse Leichtigkeit, eine spielerische Freude, einen Kitzel der Herausforderung und nicht (nur) um die Tragik der Ereignisse. Selbst der Tod kann uns zu Humor veranlassen.
Es läutet an der Türe einer altehrwürdigen Wiener Dame. Sie öffnet und sieht einen winzigen Tod vor sich stehen. „Nein, bittscheen noch nicht. Ich will noch nicht! Ein bissl noch, bitte!“ – „Keine Sorge, gnä´ Frau. Diesmal hol ich nur Ihren Hamster!“
Oder eine Schlagzeile, die zu meinen besonderen Lieblingswitzen gehört:
„Hubschrauber über dem Wiener Zentralfriedhof abgestürzt. 300 Leichen bereits geborgen!“
Und ein angeblich aus dem Leben gegriffener Ausspruch:
Die Todesstrafe soll vollzogen werden. Die Beamten holen den Verurteilten ab, – vermutlich an einem Montag. Dieser sagt: „Die Woche fängt ja gut an!“
Und noch ein Witz zum Thema Tod – ein unfreiwilliger Versprecher einer österreichischen Politikerin voller Pathos in Coronazeiten: „Wie viele Tote müssen noch sterben?“

Fast in jedem Witz steckt eine gehörige Portion an Tragik.
„Zwei Jäger treffen sich.“

Oder ein wenig subtiler:
Fuchs, Hase und Bär müssen zur Musterung. Sie wollen aber nicht einrücken. Der Fuchs schneidet sich die Lunte, der Hase die Ohren ab und der Bär reißt sich seine Zähne aus. Fuchs und Hase kommen glücklich zurück, aber der Bär ist verzweifelt. Zahnlos lispelt er: „Zu groß und zu dick!“

Hier taucht auch das wichtige Thema der fehlgeschlagenen Erwartungen auf. Im Witz erwartet man immer etwas, aber diese Erwartung trifft eben nicht ein. Da ist es schon egal, ob es der Bär ist oder der Zuhörer. Wichtig ist die Enttäuschung im besten Sinne des Wortes, das Unerwartete und nicht zu Erwartende. Aber auch hier gleich noch eine Enttäuschung: Witz ist nicht gleich Humor. Beim Witz lachen wir über meist anonymisierte andere und freuen uns, dass es diesmal wenigstens nicht uns betroffen hat. Aber Humor ist die Fähigkeit, über uns selbst zu lachen. Und Humor ist auch nicht Spott, sondern er hat etwas Weises an sich – ohne Hass, Rache oder Bösartigkeit.

„Alles hat drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische.“

Karl Valentin

Passieren uns nicht manchmal Dinge im Leben, die in der besten Slapstickkomödie vorkommen könnten? Lachen wir darüber, denn das Tragische ist ohnehin schon passiert. Ein weiser Narr namens Karl Valentin hat dieses Phänomen so erklärt: „Alles hat drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische.“ Die negative Seite drängt sich meist von selbst auf. Machen wir uns aber ganz bewusst auf die Suche nach der positiven und der komischen.

Tabus und warum nur der Hofnarr die Wahrheit sagen darf

In Humor und Witz tut sich oft (verborgene) Wahrheit auf. Daher sind Witze von Natur aus nicht politisch korrekt, sie berühren sehr oft Tabus. Sie sprengen Grenzen des Denkens und können auch die Absurdität von Haltungen und Meinungen offenbar machen. Hierzu zähle ich auch die Wortwitze, die aufzeigen, wie oft wir gedankenlos Begriffe verwenden wie hier:
Eine Blondine: „Ich bekomme eine Vollholzküche!“ Die andere Blondine nachdenklich: „Und wo gibst du das Geschirr hin?“
Ich erinnere mich hier auch an einen Witz, der vor etlichen Jahren die österreichische Politik erschütterte:
Eine weiße und eine schwarzafrikanische Mutter sitzen in einem Zugabteil. Ihre Säuglinge werden hungrig und sollen die Brust bekommen. Sagt das weiße Baby: „Mama, ich hätte auch gerne einmal Kakao!“
Dieser Witz ist harmlos, nicht diskriminierend und doch darf er heute nicht mehr erzählt werden. Verlieren wir dadurch à la longue als Gesellschaft den Humor? Irgendwann werden keine Beamten-, Ärzte-, Politikerwitze u. s. w. mehr erzählt werden dürfen. Zigeuner- und Indianerwitze sind derzeit wohl schon tabu.

Aber wir erkennen auch, dass die Witze eng verknüpft sind mit kollektiven und individuellen Themen. In Abwandlung eines bekannten Sprichwortes formuliere ich daher: Verrate mir deinen Lieblingswitz und ich sage dir, wer du in Wahrheit bist. Überprüfen Sie das bei sich selbst und bei Freunden. Sie werden staunen. Witz und Humor enthüllen unser Inneres. Aber weil die Wahrheit in ein Lächeln gehüllt ist, tut sie nicht so weh.

Humor ist einer der wichtigsten Schlüssel zu innerer Freiheit!

Michael von Brück

Humor – nicht nur um das Leben leichter zu lachen

Bloß das Leben leichter zu lachen, wäre wohl bei aller philosophischer Betrachtung zu wenig. Ja, es ist ein angenehmer Nebeneffekt. Aber Humor ist viel mehr. Der französische Philosoph André Comte-Sponville (in seinem Buch: Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben – Ein kleines Brevier der Tugenden und Werte) geht sogar so weit, Humor als Tugend zu bezeichnen. Denn er verleiht Leichtigkeit, Abstand von Problemen und dem eigenen Ich, sprengt Grenzen des Gewohnten und Althergebrachten und eröffnet so neue Perspektiven und Möglichkeiten.
Wenn wir angesichts von Corona, Krieg und Klimawandel wie die oben erwähnte Maus vor der Schlange erstarren, so können wir nichts dagegen tun. Auch dazu gibt es einen Witz:
Treffen sich im Weltraum die Erde und ein Komet: „Wie geht es dir, Erde?“ – „Schlecht! Habe Homo sapiens!“ Der Komet antwortet lächelnd: „Ach was, das geht vorüber!“
Aber in Zeiten wie diesen reicht es nicht, bloß auf Zeitablauf zu setzen. Jedes Gefühl der Ohnmacht und des Opferseins führt in Passivität, Verzweiflung und Stress. Wir könnten stattdessen alle gemeinsam das Rezept für die „Bessere-Welt-Suppe nachkochen:
Man nehme je 500 g Eigeninitiative und Verantwortungsgefühl, 200 g Toleranz, füge 4 EL Mut dazu, schmecke das Ganze ab mit einer Brise Menschenliebe, würze mit Wille und Ausdauer und verfeinere am Schluss mit einem Schuss Humor.

Humor gibt uns Kraft und innere Freiheit. Denken wir uns und die Welt neu und legen wir einfach los. Nutzen wir diese gewonnene Kreativität in uns, denn humorlose Pessimisten haben noch nie die Welt verändert.

Ohne Optimismus geht der Wille zur Gestaltung der Zukunft verloren.

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Das Vermögen des Mahatma Gandhi https://www.abenteuer-philosophie.com/das-vermoegen-des-mahatma-gandhi/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=das-vermoegen-des-mahatma-gandhi https://www.abenteuer-philosophie.com/das-vermoegen-des-mahatma-gandhi/#respond Wed, 24 Jul 2019 09:56:11 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=2369 Magazin Abenteuer Philosophie

Zunächst war er wie einer von uns. Er stibitzte als Kind seinen Eltern Geld, um sich Zigarren zu kaufen. Als junger Student liebte er seine modischen englischen Anzüge und betrachtete sich immer wieder wohl- und selbstgefällig im Spiegel. Doch dann ging ihm das Geld aus. Er lernte, der Notwendigkeit zu gehorchen, kleidete sich ganz einfach und ging zu Fuß – 20 Kilometer pro Tag. Schließlich wurde er zum Mahatma – zur großen Seele Indiens – zu einem, der berufen war, die Weltgeschichte zu verändern.

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unächst war er wie einer von uns. Er stibitzte als Kind seinen Eltern Geld, um sich Zigarren zu kaufen. Als junger Student liebte er seine modischen englischen Anzüge und betrachtete sich immer wieder wohl- und selbstgefällig im Spiegel. Doch dann ging ihm das Geld aus. Er lernte, der Notwendigkeit zu gehorchen, kleidete sich ganz einfach und ging zu Fuß – 20 Kilometer pro Tag. Schließlich wurde er zum Mahatma – zur großen Seele Indiens – zu einem, der berufen war, die Weltgeschichte zu verändern.

Heute ist er Symbol dafür, dass es nichts Unmögliches gibt, dass Veränderung möglich und machbar ist und dass jeder dazu betragen kann und muss. „Sei Du selbst die Veränderung, die Du Dir wünschst für die Welt.“ Er hat uns gezeigt, was möglich ist, was er vermochte. Und dass auch wir alle mehr vermögen, als wir glauben …
Ich persönlich lernte ihn im Kino kennen. Sie vielleicht auch? Es war der monumentale Spielfilm „Gandhi“ von Richard Attenborough aus dem Jahr 1982 mit Ben Kingsley in der Titelrolle. Als freiheitsliebender und gerechtigkeitsfanatischer Teenager war ich begeistert und bin es noch. Und daher ist es mir ein Anliegen, über ihn anlässlich seines 150. Geburtstag am 2. Oktober zu schreiben.
Ich schreibe von seinem Vermögen, das ihm nicht in die Wiege gelegt wurde, das er nicht geerbt hatte, sondern das er sich mühsam erarbeiten musste. Seine Botschaft war für mich immer eine innere gewesen. Gewiss, es gab den äußeren Kampf für die Unabhängigkeit Indiens, aber der war zu meiner Zeit schon geschlagen.

1. Vermögen: Lebe einfach!

Einfachheit, Reinheit und Verzicht waren ein Wesenskern von Gandhi. Er wollte mit der westlichen Mammon-Kultur nichts zu tun haben und vor allem Indien davor retten. Was würde er sagen, könnte er sein Land heute sehen? Er lebte in einfachsten und bescheidensten Verhältnissen, trug ausschließlich indisches Tuch. Er galt als „der nackte Heilige“. Selbst wenn er Staatsmänner empfing, setzten sich diese in seiner kleinen, bescheidenen Hütte auf die Bodenmatte neben ihn. Er träumte von einer nationalen Wirtschaft, die ohne Schwerindustrie, ohne Großstädte, ohne Luxusgüter auskommt und stattdessen die Menschen selbstständig macht und ihnen die einfache menschliche Würde zurückgibt. Daher saß er immer am Spinnrad – auch wenn er mit Staatsoberhäuptern verhandelte. Das Spinnen diente ihm der Meditation, Konzentration, Selbstbeherrschung und war darüber hinaus auch nützlich. Es sei ein Mittel gegen die Sittenverwilderung und Selbstsucht, wie er es selbst ausdrückte.

Gandhis Spinnrad (© Anandoart | Dreamstime.com)

2. Vermögen: Habe Mut, deine Stimme zu erheben

Seinen Kampf nannte Gandhi „Satyagraha“. Satya bedeutet Wahrheit. Agraha ist das Erfassen oder feste Anhalten. Daraus ergibt sich ein „unbeirrbares Sich-an-die-Wahrheit-Halten“. Die Wahrheit, die eigene Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit müssen Richtschnur des eigenen Handelns sein. Wahrhaftigkeit ist die Wurzel aller Tugenden und Satya ist das Herz aller Dinge. Ein Satyagrahi ist daher ein Mensch, der die wahre Gerechtigkeit sucht und nicht seinen persönlichen Vorteil, ein Mensch, der für die Wahrheit eintritt. Komplizenhaftes Schweigen oder stille Resignation ist damit nicht vereinbar. Eigene Feigheit und Schwäche verdunkeln die Wahrheit.

„Ein Nein aus tiefster Überzeugung ist besser und größer als ein Ja, das nur gefallen will, oder noch schlimmer, Schwierigkeiten umgehen möchte.“

 

Die sieben sozialen Sünden der Moderne
formulierte Mahatma Gandhi 1925 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Young India

  1. Politik ohne Prinzipien
    2. Wohlstand ohne Arbeit
    3. Genuss ohne Bewusstsein
    4. Wissen ohne Charakter
    5. Geschäft ohne Moral
    6. Wissenschaft ohne Menschlichkeit
    7. Religion ohne Opferbereitschaft

Hierin zeigt er die Ursachen und gleichermaßen die Lösungen für die Welt – welche selbst heute noch Gültigkeit haben.

Der Mann, der dreihundert Millionen Menschen erweckt und das britische Weltreich erschüttert, hat

Ruhige dunkle Augen. Ein schmächtiger Leib, ein hageres Gesicht und weit abstehende Ohren. Er trägt eine weiße Mütze, hüllt sich in grobes, weißes Tuch und geht barfuß. Er nährt sich von Reis und Früchten. Er trinkt nur Wasser. Er schläft auf dem nackten Boden. Er schläft überhaupt wenig und arbeitet ohne Unterlass. Sein Körper scheint nicht zu zählen. Nichts an dem Manne fällt bei einer ersten Begegnung auf als ein Ausdruck unendlicher Geduld und Liebe. … Er denkt von sich äußerst bescheiden in einem Maß, als ob er sagen wollte: „Ich kann mich irren.“ Er verbirgt nie seine Fehler, schließt keine Kompromisse, kennt keine Diplomatie … Er lauscht seiner leisen inneren Stimme, „the still small voice“, der er folgen muss.
Aus der Gandhi-Biografie von Romain Rolland

 

3. Vermögen: Nutze deine Wut

Um gewaltlosen Widerstand gegen eine Übermacht zu zeigen, brauchte er unbedingte Selbstbeherrschung. Gewalt nicht mit Gewalt, Hass nicht mit Hass zu beantworten, gehört vielleicht zu den schwierigsten Dingen. Und trotzdem sagte Gandhi: „Selbstüberwindung ist das Gesetz unseres Daseins.“ Also hatte es gar keinen Sinn, dem Thema auszuweichen. Er gab auch zu: „Herr über die feinen Leidenschaften zu werden ist weit schwerer als die Eroberung der Welt mit Waffengewalt.“ Aber er erklärte auch – und hat es mit seinem Leben selbst bewiesen – wie es geht: Man muss die Energie der Wut nutzen und sie in eine positive und nützliche Richtung leiten. „Wut ist die Energie, die uns zwingt, zu definieren, was gerecht ist und was ungerecht.“ Das führt zum eigenen Nachdenken, den eigenen „wahren“ Standpunkt zu finden und sich dann dafür einzusetzen. Gewalt mit Gewalt zu beantworten, vermehrt nur die Gewalt. Es führt zu keiner Lösung.

4. Vermögen: Suche die Kraft der Einheit

„Ich wende mich an alle unter Euch mit der Bitte: Einigt Euch! Hindu, Mohammedaner, Parsen, Juden und Christen … überwindet Euer Misstrauen untereinander. Das Misstrauen geht aus der Furcht hervor, die Furcht aber aus der Schwäche. Ich weiß, dass wir uns im Grunde alle wie Brüder lieben.“ Eine in sich selbst gespaltene Gemeinschaft hat keine Macht. Ein in sich selbst zerrissener Mensch hat keine Kraft.

Apropos Vermögen

Ein Vermögen ist nicht etwas, das man gerne hätte, sondern was man wirklich sein Eigen nennen kann. Nicht ein Traum oder eine Sehnsucht, sondern man muss es sich mit ganzer Kraft und Anstrengung selbst erarbeitet haben. Das ist wahrlich nicht so leicht: einfach zu leben in einer Kultur des Wohlstands durch Konsum. Im feigen Schweigen der Masse seine Stimme zu erheben, sich nicht wütend oder ohnmächtig zu fühlen angesichts der Herausforderungen unserer Zeit und vor allem die Einheit und Verständigung zu suchen in einer Welt des gegenseitigen Misstrauens.

Er wollte eigentlich nie ein Mahatma – eine große Seele – sein. Vielleicht auch deshalb, da uns ein Mahatma zu weit entfernt ist, um als wirkliches Beispiel und Vorbild zu dienen. Er empfand sich selbst als alpa Atma – eine kleine bescheidene Seele, die aber auf der Suche nach der Wahrheit ist. Aber den Namen Bapu (Vater) hat er geliebt. Er war der Vater von Indien – von Millionen von Menschen, die ihn liebevoll so nannten. Und möge er uns heute ein geliebter Großvater sein. Mir fällt der Refrain eines Songs von STS ein: „Großvater, kannst du ned abakumman auf an schnellen Kaffee?“ Und in leichter Abwandlung des Textes singe ich weiter: „Großvater, i möcht‘ di so viel fragn, was i heit net versteh!“ Er kommt nicht zum Kaffee. Er trank nur Wasser. Aber stellen wir uns vor, er säße vor uns … „Danke dir, Bapuji, für dein Vorbild! Und: Happy Birthday!!!“

 

Mohandas Karamchand Gandhi

  • Geboren am 2. Oktober 1869 in Porbandar (Indien) am Golf von Oman, in der Kaste der Vaishas (Geschäftsleute)
  • Studierte Rechtswissenschaften in London
  • Begann als Rechtsanwalt in Südafrika seinen Kampf gegen Rassendiskriminierung
  • Setzte diesen Kampf in Indien fort
  • Übernahm 1920 die Führung der Unabhängigkeitsbewegung in Indien
  • Unternahm unzählige Kampagnen des gewaltlosen Widerstands gegen die britische Kolonialregierung
  • Erlebte schließlich 1947 Indiens Unabhängigkeit, aber auch die Spaltung in Indien und Pakistan
  • 1948 wurde er für seine Aussöhnungsversuche zwischen Hindus und Moslems von einem fanatischen Hindu erschossen
  • Der Ehrenname „Mahatma“ wurde ihm vom indischen Philosophen Rabindranath Tagore verliehen

 

Literaturhinweis:

GANDHI, Arun: Wut ist ein Geschenk – Das Vermächtnis meines Großvaters Mahatma Gandhi. DuMontVerlag. 2017

GANDHI, M. K.: Eine Autobiographie oder Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit. Aquamarin-Verlag. 2013

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Hand aufs Herz: Wer von uns hat noch nie gelogen – zumindest ein bisschen geschwindelt oder vielleicht auf eine kleine Notlüge zurückgegriffen? In einer Zeit, wo Fake News in aller Munde sind, haben wir DEN Experten in ethischen Themen in Königsberg kontaktiert.

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Interview mit Unzeitgenossen

Hand aufs Herz: Wer von uns hat noch nie gelogen – zumindest ein bisschen geschwindelt oder vielleicht auf eine kleine Notlüge zurückgegriffen?
In einer Zeit, wo Fake News in aller Munde sind, haben wir DEN Experten in ethischen Themen in Königsberg kontaktiert.

Abenteuer Philosophie: Herr Professor Kant, Sie haben mit Ihrem kategorischen Imperativ einen Meilenstein in Fragen des praktischen ethischen Verhaltens gesetzt. Aber Sie haben sich mit der Lüge auch besonders beschäftigt.

Kant: Ja, das ist richtig. Ich habe einen Aufsatz geschrieben mit dem Titel: Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen.

AP: Wie kamen Sie dazu?

Kant: Dieser Artikel war eine Antwort auf eine Aussage eines französischen Philosophen, der behauptet hat: „Die Wahrheit zu sagen ist eine Pflicht, aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht auf die Wahrheit hat.“

AP: Ein einleuchtendes Beispiel hierfür wäre etwa, wenn mich ein angehender Mörder fragt, ob sich sein zukünftiges Opfer an einem bestimmten Ort befindet. Hier scheint eine Lüge nicht nur moralisch gerechtfertigt, sondern sogar angezeigt. Ein praktischeres Beispiel: Darf ich jemanden in Bezug auf die Schwere seiner Krankheit belügen? Hat der Todkranke ein Recht auf Wahrheit? Oder hebt die Barmherzigkeit jenes Recht auf?

Kant: Zuerst ist anzumerken, dass der Ausdruck, ein Recht auf die Wahrheit zu haben, ein Wort ohne Sinn ist. Man muss vielmehr sagen: Der Mensch habe ein Recht auf seine eigene Wahrhaftigkeit. Denn objektiv auf eine Wahrheit ein Recht haben, würde eine seltsame Logik abgeben.

AP: Ja, denn niemand ist im Besitz der reinen Wahrheit. Selbst ein Todkranker könnte wieder gesund werden.

Kant: Ja. Und im Besonderen ist Wahrheit kein Besitztum, auf welches dem einen das Recht bewilligt, anderen aber verweigert werden könne. Und zweitens und dies vornehmlich, darf die Pflicht der Wahrhaftigkeit keinen Unterschied zwischen Personen machen, gegen die man diese Pflicht hat oder gegen die man sich von dieser Pflicht lossagen könne. Es ist eine unbedingte Pflicht.

AP: Das ist eine sehr hoch angesetzte moralische Norm, die Sie hier aufstellen.  Ist das überhaupt lebenspraktisch? Ich denke hier zum Beispiel daran: wie ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter dazu bringt, Kunden in Bezug auf die Qualität der verkauften Produkte ein wenig anzuschwindeln.

Kant: Von einem anderen zu fordern, ihm zum Vorteil zu lügen, ist ein aller Gesetzmäßigkeit widerstreitender Anspruch: Mag die Wahrheit nun ihm selbst oder dem anderen schaden.

AP: Sie anerkennen nicht einmal die Lüge aus Barmherzigkeit?

Kant: Wer lügt, so gutmütig er dabei auch gesinnt sein mag, muss die Folgen davon verantworten. Im ethischen Sinn muss ich noch nachschärfen: Unwahrhaftigkeit ist Verletzung der Pflicht gegen sich selbst.

Die Juristen verlangen in ihrer Definition der Lüge eine vorsätzliche unwahre Aussage, die einem anderen schade …

AP: … was impliziert, dass eine Lüge, die einem anderen – oder sich selbst – nützt, keine Lüge im juridischen Sinne wäre.

Kant: Hier muss man aber die Gefahr nicht nur in einem Schaden am Vermögen oder an Leib und Leben einer Person verstehen, sondern auch den Schaden, der entsteht, wenn man Unrecht tut.

In jeder Lüge verletze ich die Pflicht zur Wahrhaftigkeit, die gänzlich unbedingt ist. Jede ausgesprochene Unwahrheit bewirkt, dass Aussagen generell nicht glaubwürdig sind – und damit auch das Vertrauen in Gesetze, in Rechte und Verträge verloren geht.

AP: Sie meinen hier einen Vertrauensschaden. Es gibt ja das Sprichwort: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Und folgerichtig kollektiv weitergedacht: Wir selber haben uns durch einen zu großzügigen Umgang mit der Wahrheit eine Welt voller Lügen eingebrockt.

Kant: Lüge ist daher ein Schaden, ein Unrecht, das der Menschheit überhaupt zugefügt wird.

AP: Was bleibt da noch übrig zu sagen?

Kant: Allein der, der die Frage stellt: „Darf ich (not)lügen?“, ist schon ein potenzieller Lügner, weil er zeigt, dass er die Wahrhaftigkeit nicht für Pflicht an sich selbst anerkennt.

***

Immanuel Kant (1724-1804, in Königsberg, Preußen):

Deutscher Philosoph der Aufklärung, der bedeutendste Vertreter der abendländischen Philosophie am Wendepunkt zur modernen Philosophie.

***

Kategorischer Imperativ:

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe Kant Werke IV, S. 421, 6.

 ***

Die Antworten von Immanuel Kant im Interview sind seinem Artikel: Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen, 1797 aus Werke in zwölf Bänden, Band 8, Frankfurt am Main, 1977 entnommen.
(http://www.zeno.org/Nid/20009192123)

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